Der Skandal um VW und dessen Folgen für den Stuttgarter Autozulieferer Bosch rütteln am Fundament der Branche, kommentiert der StZ-Autor Michael Heller.

Stuttgart - Amerikanische Anwälte sind wenig zimperlich in der Wortwahl. Für die Vertreter der Kläger handelt es sich beim Dieselskandal von Volkswagen um „eines der schamlosesten Wirtschaftsverbrechen der Geschichte, um ein abschreckendes Beispiel für den Versuch, um jeden Preis Gewinn zu machen“. Und in diese Affäre ist auch der Zulieferer Bosch tief verstrickt, tiefer als ursprünglich vermutet – ausgerechnet Bosch, dieses Vorzeigeunternehmen, das einen Ausspruch seines Gründers noch immer hoch hält: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen.“ Es wäre freilich nicht das erste Mal, dass Anspruch und Wirklichkeit bei Bosch auseinanderklaffen. Zumindest in das Visier von Wettbewerbshütern ist das Unternehmen schon mehr als einmal geraten.

 

Gewiss, zunächst einmal geht es in den USA nur um eine Klage. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass US-Anwälte gerne besonders laut auf den Tisch hauen, weil sie im Zweifel eine Laienjury überzeugen müssen, in der das Denken in den einfachen Kategorien von Gut und Böse eine gewisse Präferenz hat. Ob sich Bosch wirklich etwas hat zu Schulden kommen lassen, lässt sich trotz allen Wortgeklingels aus den voluminösen Schriftsätzen nicht herauslesen. Das Gegenteil ebenso wenig, was aber nicht verwunderlich ist. Sollte es zum Prozess kommen, dann gilt wieder einmal der Satz: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“. Das hat freilich nichts mit den Besonderheiten des Justizsystems in den Vereinigten Staaten zu tun. Auch Juristen hierzulande sind sich nicht einig, wie weit die Pflichten eines Lieferanten in solch einem Fall gehen.

Der VW-Konzern hat das Vertrauen in das Vorzeigeunternehmen Bosch beschädigt

Es darf als gesichert angesehen werden, dass Bosch mitgeholfen hat, seine eigene Motorsteuerung mit der internen Bezeichnung EDC17 bei VW zu manipulieren; der Motor hat auf dem Prüfstand weniger Schadstoffe emittiert als im Straßenverkehr. Dass die Motorsteuerung erkennen konnte, wenn das Auto auf dem Prüfstand steht, ist zunächst einmal kein Betrugsversuch, sondern ein Erfordernis, um zu vernünftigen Messergebnissen zu kommen. Entscheidend ist, ob Bosch wusste, dass der Prüfstandsmodus im Alltagsbetrieb abgeschaltet werden sollte und daran mitgewirkt hat. Böses geahnt haben die Stuttgarter allemal. Schon 2007 haben sie VW darauf hingewiesen, dass der Einsatz im Alltagsbetrieb eine Straftat wäre. Und ein Jahr später hat der Konzern sogar versucht, von Volkswagen eine Erklärung zur Freistellung von einer möglichen Haftung zu erhalten – vergeblich. Aber was folgt daraus? In die Weigerung von VW sollte nicht zu viel hinein interpretiert werden. Zulieferer haben aus der Sicht der Hersteller keine Forderungen zu stellen – zumal, wenn sich der Kunde damit selbst belasten würde.

Ein eigenes Interesse von Bosch an der Manipulation ist nicht plausibel, wenngleich der Konzern große Hoffnung darauf gesetzt hat, dass dem in den USA verpönten Diesel unter dem Schlagwort „clean Diesel“ doch noch der Durchbruch gelingt. Das Interesse von Bosch galt vielmehr der Geschäftsbeziehung zu seinem wichtigsten Kunden, Volkswagen. Juristen mögen das verurteilen und die unmittelbare Einschaltung der Staatsanwaltschaft in solch einem Fall für den einzig gangbaren Weg halten. Aber der Verlust des Abnehmers VW hätte für Bosch katastrophale Folgen gehabt. Etwa 50 000 Jobs hängen insgesamt am Diesel. Und das hat womöglich eine Haltung des Wegsehens gefördert. Ein Dilemma.

Ist das strafbar? Diese Frage wird sich in der arbeitsteiligen Autoindustrie künftig drängender stellen. Hersteller und Zulieferer arbeiten Hand in Hand und wissen deshalb viel übereinander. Die Grundlage für die Zusammenarbeit ist gegenseitiges Vertrauen – Vertrauen in die Qualität der Arbeit, aber auch Vertrauen in gesetzeskonformes Handeln. Es ist der VW-Konzern, der diese Grundlagen beschädigt hat.