Peter Löscher, der bisherige Chef, hatte nur die Rendite im Blick. Das reicht nicht, kommentiert StZ-Wirtschaftschef Michael Heller den Führungswechsel bei Siemens.

Stuttgart - Siemens-Chef Peter Löscher hat den Machtkampf verloren. Der Österreicher, der sich in einem am Freitag geführten Interview noch als Kapitän von Siemens sah, der mehr gefragt sei denn je, wird abgelöst. Auch sein Förderer, Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, hat den Daumen gesenkt – um womöglich den eigenen Job zu retten. So kommt es nun am Mittwoch zu einer Aufsichtsratssitzung mit einem kuriosen Tagesordnungspunkt: „Der Aufsichtsrat wird in seiner Sitzung am 31. Juli über das vorzeitige Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden beschließen.“ Beschlossen wird also, was am späten Samstagabend nach getrennten Sitzungen der Kapital- und der Arbeitnehmerseite des Aufsichtsrats bereits beschlossen worden ist. Das ist ein wenig souveräner Umgang mit der Toppersonalie und zeigt, dass der 70-jährige Cromme mit seiner Aufgabe überfordert ist.

 

Löschers Abgang ist auch eine Niederlage für den Mann, der in diesem Jahr bereits als Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp abtreten musste. Cromme hatte 2007 den damaligen Chef des US-Pharmariesen Merck als Überraschungskandidaten für den Vorstandsvorsitz bei Siemens aus dem Hut gezaubert. Cromme suchte einen Manager ohne Siemens-Stallgeruch, weil er nach einer beispiellosen Korruptionsaffäre bei diesem Vorzeigekonzern der Industrie einen Neuanfang wollte. Diese Erwartungen hat Löscher erfüllt, wenngleich die Verstrickung des Konzerns in ein U-Bahn-Kartell in Brasilien zeigt, dass das alte Denken noch nicht ganz überwunden ist.

Unterschätzt hat Cromme die Vorbehalte des Siemens-Establishments gegen den 55-Jährigen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass es im Vorstand mehr als einen Manager gibt, der sich für den besseren Mann an der Spitze hält. Dass sich Löscher öffentlich über das Verhältnis zu seinem Finanzchef und möglichen Nachfolger Joe Kaeser äußert, spricht Bände, auch wenn er einen Konflikt bestreitet: „Es ist falsch, dass Herr Kaeser und ich Gegenspieler sind.“ Löscher hatte zu Beginn seiner Zeit in München mit dem Satz Aufsehen erregt: „Siemens ist zu weiß, deutsch, zu männlich.“ Er ist gescheitert an der konservativen Bastion – freilich nicht ohne eigene Schuld.

Zum Überlaufen gebracht hat das Fass eine sechszeilige Börsenmitteilung. Wieder einmal musste Siemens seine Prognosen kassieren und einräumen, dass das angestrebte Ziel verfehlt wird. Das war für den amerikanisch geprägten Manager Löscher besonders misslich, weil er den Konzern stark über Renditevorgaben und Kostensenkungsziele geführt hat. So stark, dass Gesamtbetriebsrat und IG Metall in Sorge um die Jobs der Beschäftigten Löschers Programm Siemens 2014 mit einer eigenen Agenda, Siemens 2020, gekontert haben. Der Tenor: nicht die Rendite solle im Mittelpunkt stehen, sondern der Mensch.

Dass das Misstrauen der Mitarbeiter in den Fabriken und Büros gegen die Führung so groß ist, gehört eigentlich nicht zur Tradition des Hauses. Aber neben Sparplänen irritiert die Beschäftigten zu Recht auch der ziellos wirkende Kurs des Elektro- und Elektronikkonzerns: Wofür steht Siemens eigentlich? Klarer ist, wofür Siemens nicht mehr steht. Von vielen Aktivitäten, die einst zum Kern gehörten, haben sich die Münchner getrennt, vielfach schon lange vor Löschers Zeit. Ein Beispiel dafür ist das Telefongeschäft. Ebenso wurde der Autozulieferer VDO an Conti abgegeben, die Computer an Fujitsu und die IT-Dienstleistungen an Atos. Der Chiphersteller Infineon und der Bauteilespezialist Epcos gingen an die Börse, ebenso vor Kurzem mit Ach und Krach Osram. Hinzu kommt, dass das Selbstbewusstsein der Siemensianer durch eine Kette technischer Pannen, sei es bei ICE-Zügen oder der Anbindung von Windrädern ans Stromnetz, erschüttert ist. Keine Frage: der neue Vorstandschef steht vor einer Herkulesaufgabe.