Heute stimmt der Landtag über das Stuttgart-21-Kündigungsgesetz ab. Doch die Premiere einer direkten Volksgesetzgebung steht unter keinem guten Stern.

Stuttgart - Mit der Ablehnung des sogenannten Ausstiegsgesetzes aus Stuttgart 21 macht der Landtag am Mittwoch den Weg frei für die erste Volksabstimmung in Baden-Württemberg. Nach der Plenarsitzung liegt der Antrag aus, mit dem die Abgeordneten der grün-roten Koalition die Landesregierung auffordern, ein Referendum über das umstrittene Bahnprojekt einzuleiten. Dafür ist die Unterschrift eines Drittels der Parlamentarier erforderlich.

 

Die Premiere einer direkten Volksgesetzgebung im Land steht unter einem ungünstigen Stern. Beide Seiten, Befürworter wie Gegner des Bahnprojekts, begegnen der Volksabstimmung mit Zweifeln.

Anders als die Bezeichnungen "Ausstiegsgesetz" oder "Kündigungsgesetz" nahelegen, stimmen die Bürger formal nicht über das Sein oder Nichtsein von Stuttgart 21 ab, sondern über den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung. Allerdings ist juristisch höchst umstritten, ob dies überhaupt möglich ist.

Zweifel bei Gegnern und Befürwortern

Diesem Umstand trägt der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf Rechnung, in dem merkwürdig unbestimmt von Kündigungsrechten die Rede ist, die im Gesetzestext selbst aber ungenannt bleiben; nur in der Begründung scheinen sie auf.

Von Projektbefürwortern wie von Projektgegnern wurde bereits der Verdacht gestreut, die Landesregierung werde mangels rechtlicher Grundlage selbst dann auf eine Kündigung verzichten, wenn die Volksabstimmung die erforderliche Mehrheit samt Zustimmungsquorum erbringen sollte.

Allein schon der Gedanke ist jedoch abwegig, weil die Regierung sich in diesem Fall der vorsätzlichen Volksverdummung schuldig machte. Gefahr droht von anderer Seite: Aufgrund der prekären Rechtsgrundlage einer Vertragskündigung sähe sich die Bahn in der Lage, dagegen gerichtlich vorzugehen. Im Ergebnis hätte dann nicht das Volk das letzte Wort, sondern die Justiz. Auch das wäre kein glücklicher Auftakt für eine stärkere Bürgerbeteiligung, wie sie die grün-rote Regierung propagiert.

Bringt uns ein Volksentscheid tatsächlich weiter?

Schließlich schmälert das hohe Zustimmungsquorum von einem Drittel der Wahlberechtigten die Chancen der Projektgegner erheblich. Zwar bleibt festzuhalten, dass die Landesverfassung eine parlamentarische Demokratie modelliert, die dem Prinzip der Repräsentation des Volkes im Landtag folgt.

Wenn die Verfassung freilich Elemente der direkten Demokratie zulässt, und das tut sie, dann sollten diese so ausgestaltet sein, dass ihnen das Scheitern nicht innewohnt. Das Quorum als solches ist richtig, seine Höhe ist unfair.

So erscheint es von vornherein als fraglich, ob die Volksabstimmung zur erhofften, mehr noch: ersehnten Befriedung im Bahnhofstreit beitragen wird. Und doch ist sie das Maximum, welches die Verfassung hergibt. Ihr Regelwerk wurde nicht willkürlich gesetzt; es ist Ausfluss historischer Erfahrung.

Die Interpretation von Demokratie

Nun mag man der Ansicht sein, dass sich die Zeiten geändert haben. Man mag wie die Grünen glauben, das vielfach zu beobachtende Unbehagen am Parlamentarismus - eigentlich zielt es mehr auf die politische Klasse in ihrer Realpräsenz - durch mehr direkte Demokratie lindern zu können. Doch erreichen lässt sich dies nur über die Verfassung, auch wenn der Weg mühsam erscheint.

Demokratie bedarf eines Grundkonsenses der Beteiligten, sonst geht sie zugrunde. An diesem Willen mangelt es zunehmend. Was einem nicht gefällt, gar widerstrebt, das wird nicht akzeptiert, sondern als undemokratisch etikettiert, wenn nicht als Ausgeburt finsterer Mächte diffamiert - frei nach dem Motto: "Die Demokratie, das bin ich."

Zur Demokratie gehören aber auch die anderen. Angesichts dieser Ausgangslage ist die Volksabstimmung ein waghalsiges Experiment, nicht zuletzt für die grün-rote Koalition. Das Gekeife ist schon recht laut. Dennoch setzt das Referendum ein Faktum, an dem niemand leicht vorbeikommt. Endlich, möchte man seufzen.