Das Anliegen, die drohende Altersarmut zu bekämpfen, ist richtig, meint der Berliner Büroleiter der StZ, Armin Käfer. Doch der Weg, den Sozialministerin Ursula von der Leyen beschreiten will, ist der falsche.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Die Rente ist sicher, hat Norbert Blüm 1986 versprochen. Da war der Herz-Jesu-Marxist noch Sozialminister. Seitdem wachsen die Zweifel an der Verlässlichkeit des Alterssicherungssystems. Heute ist sicher, dass die Rente vielen nicht reichen wird, ihr Auskommen im Alter zu bestreiten. Dieser Befund birgt sozialen Sprengstoff. Insofern ist Blüms Nachfolgerin Ursula von der Leyen kein Vorwurf zu machen, wenn sie auf ein gravierendes Problem hinweist: In Deutschland wächst eine Generation heran, für die Altersarmut eine akute Bedrohung sein wird.

 

Von der Leyens Alarmismus ist gleichwohl fehl am Platze. Die Ministerin operiert mit fragwürdigen Zahlen, um ihren Argumenten zum Durchbruch zu verhelfen. Zudem verweist ihre Zuschussrente auf einen falschen Weg. Dem Problem einer massenhaften Altersarmut mag man so vielleicht entkommen. Doch der vermeintliche Ausweg führt in die Irre. Von der Leyen will eine Ungerechtigkeit aus der Welt räumen, indem sie neue Ungerechtigkeiten in Kauf nimmt. Das ist nicht sinnvoll.

Die Statik des Systems kommt ins Wanken

Damit kein Zweifel aufkommt: Jemand, der sein Leben lang arbeitet, der soll im Alter auch von den Früchten seiner Arbeit leben können. Das ist ein berechtigter Anspruch. In der Bundesrepublik konnte man sich lange darauf verlassen. Für eine wachsende Zahl von Bundesbürgern gilt das nicht mehr. Die Gründe haben mit der demografischen Entwicklung unserer Gesellschaft und mit veränderten Arbeitsbedingungen in einer globalisierten Welt zu tun.

Die Statik des Rentensystems gerät ins Wanken, weil immer weniger Beitragszahler immer mehr Rentner aushalten müssen. Außerdem sind viele Jobs so miserabel bezahlt, dass die Rentenbeiträge nicht ausreichen, um später ein erträgliches Rentenniveau zu sichern. Obendrein sind Erwerbsbiografien mit 40 und mehr Beitragsjahren, wie sie früher üblich waren, nicht mehr garantiert. Schlecht bezahlte Praktika zu Beginn des Berufslebens, Karrierebrüche, Zeiten ohne Job oder eine ungesicherte Selbstständigkeit sind an der Tagesordnung. Auf solchen Grundlagen lässt sich keine sichere Rente aufbauen.

Natürlich ist es ungerecht, dass mancher, der jahrzehntelang Rentenbeiträge abführt, am Ende seines Berufslebens nicht mehr erwarten kann als andere, die weniger oder gar nichts einbezahlt haben. Solche Zustände stellen die Legitimität unseres Rentensystems in Frage. Die Sozialministerin tut dies auf andere Weise. Sie will aus dem Beitragsaufkommen jenen einen Zuschuss finanzieren, die nur eine minimale Rente erhalten würden, obwohl sie kontinuierlich Beiträge geleistet haben. Damit wären deren Beiträge aber mehr wert als die der übrigen Arbeitnehmer, die länger und/oder mehr in die Rentenkasse eingezahlt haben. Auch das ist ungerecht.

Gerechtigkeitsfrage nicht ausweichen

Wenn überhaupt, dann müssten solche Wohltaten aus der Staatskasse finanziert werden. Angesichts einer unbewältigten Staatsschuldenkrise ist allerdings zu bezweifeln, ob neue Sozialleistungen erfunden werden sollten, solange der Staat fortlaufend mehr Geld ausgibt als er einnimmt.

Von der Leyen verweist auf eine Gerechtigkeitsfrage, die niemand ignorieren kann. Solchen Gerechtigkeitsfragen wird ihre Partei im heraufziehenden Wahlkampf ganz gewiss nicht ausweichen können. Doch die Frage, die von der Leyen aufwirft, ist falsch gestellt. Wäre sie anders formuliert, müsste die Bundesregierung Antworten geben, um die sie sich bisher drückt. Wie kann es sein, dass in Deutschland immer noch Löhne bezahlt werden, die kein auskömmliches Leben ermöglichen, geschweige denn eine ausreichende Altersvorsorge? Und warum haben zehn Jahre nach Erfindung der Riester-Rente knapp die Hälfte derer, die von ihr profitieren könnten, noch keinen Vorsorgevertrag abgeschlossen? Da gäbe es viel zu tun für die umtriebige CDU-Ministerin.