Die Regierungen verhandeln, die Parlamente zeigen Grenzen auf - das ist im augenblicklichen Verhältnis zur Türkei nicht die schlechteste Arbeitsteilung, kommentiert Christopher Ziedler.

Berlin - Nun ist es also da das lange erwartete Signal, dass sich Deutschland und Europa – der notwendigen Kooperation in der Flüchtlingskrise zum Trotz - nicht alles von der Türkei gefallen lassen: Der Bundestag hat gerade in einer Resolution erstmals ganz offiziell als „Völkermord“ bezeichnet, was vor 101 Jahren in türkischem Namen mit den Armeniern passiert ist. Alle harschen Proteste und unverblümten Drohungen aus Ankara im Vorfeld haben das nicht verhindern können. Das mag kurzfristig zu einer Verschlechterung der Beziehungen führen, hat jedoch auch das Potenzial, im Innern dem fatalen Eindruck entgegenzuwirken, dass Berlin und Brüssel Menschenrechte und Demokratie zu opfern bereit sind, wenn der eigene Gewinn nur hoch genug ist.

 

Es gibt heftige Kritik daran, dass die Regierungsspitze Debatte und Abstimmung im Bundestagsplenum ferngeblieben sind – in Wahrheit ist es Ausdruck einer ganz cleveren Arbeitsteilung. Allen voran Kanzlerin Angela Merkel muss in den nächsten Wochen und Monaten viele Gespräche mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan und dessen neuem Ministerpräsidenten Binali Yıldırım führen. Da ist es durchaus hilfreich, wenn sie nicht als Speerspitze der Armenien-Resolution wahrgenommen wird. Durch ihr Handzeichen als Abgeordnete in der Probeabstimmung der Unionsfraktion ist klar, dass sie sich nicht von ihr distanziert. Wie könnte sie sich als Bundeskanzlerin auch aktiv gegen eine Mehrheit im Bundestag stellen, der gewählten Volksvertretung der Bundesrepublik?

Kleine Lektion in Sachen Demokratie

Dieses arbeitsteilige Vorgehen gegenüber der Türkei lässt sich auch auf europäischer Ebene beobachten. Die Brüsseler Kommission führt die Verhandlungen mit Ankara über die Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens, zu dem die Visafreiheit für türkische Bürger bei Reisen in die Gemeinschaft gehört. Es war das Europaparlament, das die Beratung über die Liberalisierung vorläufig gestoppt hat, da die türkische Regierung sich bisher weigert, das Anti-Terror-Gesetz des Landes so zu ändern, dass nicht mehr Oppositionelle und kritische Journalisten darunter fallen können. Die Regierungsgespräche laufen dennoch weiter.

Man würde es sich vielleicht anders wünschen, in der Realpolitik können die Regierenden ihrem Gegenüber auf diese Weise aber immer charmant signalisieren, dass sie selbst ja vielleicht zu Zugeständnissen bereit wären, aber eben an die Beschlüsse ihrer lästigen Parlamentarier gebunden sind. „Good cop, bad cop“ nennen die Amerikaner diese Aufteilung, guter Polizist, schlechter Polizist also. Das dient gerade im Hinblick auf Erdogan aber auch als kleine Lektion in Sachen Demokratie: Nicht die Exekutive herrscht, sondern die Legislative.

Ewig wird diese Arbeitsteilung freilich nicht funktionieren, sie verschafft hauptsächlich Zeit für Verhandlungen. Sollte Ankara aber nicht bereit sein, etwa die normalen EU-Kriterien für die Visafreiheit zu akzeptieren und umzusetzen, wird auch die Regierung, wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel Farbe bekennen müssen. Sie kann das dann nicht mehr, wie in der Armenien-Frage, allein dem Bundestag überlassen.