Der CDU ist klar, dass ernst gemacht werden muss mit dem Atomausstieg. Das geht nicht von heute auf morgen, meint StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Es herrscht Wahlkampf in Deutschland. Vor den Wahlen der nächsten zwei Wochen klingen alle Beteuerungen seltsam hohl, bei der Debatte um die Zukunft der Kernkraft dürfe das Leiden des japanischen Volkes nicht vergessen werden. Natürlich gebietet es der Respekt, dass die Tausenden von Toten betrauert werden und den Überlebenden alle nur mögliche Hilfe zuteil wird. Andererseits: Wann, wenn nicht jetzt, soll über die Zukunft der Kernenergie gestritten werden? Denn in Fukushima zeigt sich, dass auch in einem Hochtechnologieland nicht jedes Risiko kalkuliert werden kann und dass ein für theoretisch gehaltenes Restrisiko nun eine reale Relevanz erhält. Für eine Gesellschaft, die Kernenergie nutzt, verändert das vieles, wenn nicht sogar alles.

 

Angesichts der drohenden oder womöglich bereits erfolgten Kernschmelze in Japan hätte sich die Atomdebatte in Deutschland auch ohne Wahlkampf aufgeheizt. Doch die nahenden Landtagswahlen, die die politische Tektonik nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in Berlin erheblich verschieben können, wirken als Beschleuniger. In Windeseile werden Positionen aufgegeben, für die ganze Generationen konservativer Politiker gekämpft haben. In atemberaubender Geschwindigkeit beseitigt der drohende GAU in Fukushima einige der ideologischen Gegensätze in Deutschland. Selbst wenn es die CDU war, die den Begriff der Brückentechnologie eingeführt hat und damit die Endlichkeit der Kernenergienutzung hierzulande festschrieb: Seit diesem Wochenende ist der Union klar, dass Ernst gemacht werden muss mit dem Ausstieg.

Die Debatte um den Ausstieg muss besonnen geführt werden

Den ersten Schritt ging Bundeskanzlerin Angela Merkel: Mit der Aussetzung der gegen erheblichen Widerstand durchgesetzten Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke kippt sie einen zentralen Baustein ihrer Politik. Damit ist auch das Abschalten einiger Altmeiler verbunden. Wie viele der 60.000 Demonstranten vom Wochenende hätten sich am Samstag träumen lassen, dass Neckarwestheim I nur wenige Tage später vom Netz genommen wird? Und selbst wenn die angekündigten Maßnahmen nur vorübergehenden Charakter haben: Es ist kaum vorstellbar, dass sie wieder zurückgenommen werden.

Doch trotz der Wucht des Augenblicks muss die Debatte besonnen geführt werden. Deutschland kann sich nicht von heute auf morgen von der Kernenergie verabschieden. Das ist für ein Industrieland, das von bezahlbarem Strom lebt, wirtschaftlich nicht möglich, zumal die Alternativen entweder teuer oder aber mit einer negativen Klimabilanz verbunden sind. Das gilt um so mehr, als Länder wie Frankreich wohl am Ausbau der Kernenergie festhalten. Auch China wird sich in seinem Energiehunger nicht durch Fukushima bremsen lassen. Deutschland muss also in einer vertretbaren Zeit auf Kernenergie verzichten und andererseits national und international für höhere Sicherheitsstandards kämpfen.

Rückschlag für Mappus

Für den Stuttgarter Regierungschef Stefan Mappus, der ja besonders ruppig für die Laufzeitverlängerung eintrat, ist diese Entwicklung eine schlimme Niederlage. Dabei war er - die Ergebnisse der Meinungsumfrage von SWR und Stuttgarter Zeitung unmittelbar vor Bekanntwerden des Umfangs der Katastrophe von Fukushima belegen es - auf dem Weg, im Amt bestätigt zu werden. Weder die Guttenberg-Affäre noch die Kritik am Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster haben ihm offenbar in der Wählergunst geschadet, und die Aufregung um Stuttgart 21 nimmt auch immer mehr ab. Doch nun spielt die Atomdebatte den Grünen und der SPD in die Karten.

 Japan ist durch das Beben um zwei Meter verschoben worden. Die Bewegung in Deutschland und Baden-Württemberg ist zwar so nicht zu messen; doch spürbar ist sie auch. Wie sie sich politisch auswirkt? Die erste Antwort erfolgt am 27. März.