Beim Stuttgarter Musikfest und seinem Veranstalter, der Bachakademie, endet eine Ära: Helmuth Rilling tritt nach mehr als 30 Jahren ab. Wie groß die Chancen seiner Nachfolger sind, die Zukunft zu sichern, analysiert der StZ-Kulturchef Tim Schleider.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Am Donnerstagabend beginnt das Stuttgarter Musikfest. Das zweieinhalbwöchige Festival markiert für seinen Veranstalter, die Internationale Bachakademie, einen tiefen Einschnitt: Nach mehr als dreißig Jahren verabschiedet sie ihren Gründer Helmuth Rilling. Am Samstagabend übergibt damit eine der prominentesten Künstlerpersönlichkeiten der Stadt die Akademieleitung an den Nachfolger Hans-Christoph Rademann. Dazu wird eigens der Bundespräsident Joachim Gauck nach Stuttgart kommen und die Festrede halten – daran mag man ablesen, wie weit dieses Ereignis kulturpolitisch über die Stadtgrenzen hinausstrahlt.

 

In der Musikwelt ist Helmuth Rilling ein Name von Rang. Wer irgendwo auf diesem Globus die Musik Johann Sebastian Bachs liebt, weiß von ihm. Die Bachakademie in ihrer Villa im Stuttgarter Westen ist sein Kind, und er hat ihr gemeinsam mit der Gächinger Kantorei und dem Bach-Collegium unbestritten internationalen Rang verschafft, hat sie vernetzt mit ähnlichen Einrichtungen auf der ganzen Welt, hat mit seinen Konzerten und Einspielungen auf allen Kontinenten auch den Namen Stuttgarts noch bekannter gemacht. Vor allem aber hat er gleich mehreren Generationen an Konzertbesuchern das Hören gelehrt, hat sie eingeführt in die Regeln und die Schönheit der Musik und so ihr Leben zutiefst bereichert. Auch dafür wird er von vielen sehr verehrt – völlig zu Recht.

Nicht ohne Krach und Querelen

Der Übergang der Bachakademie von einer Ära mit dem nunmehr 80-jährigen Helmuth Rilling in eine Zeit danach ist nicht ohne Krach und Querelen gelungen. Der langjährige Leiter, sein Stab, die Geschäftsführung, die Gremien und die wichtigen Mäzene standen sich zu Beginn des vergangenen Jahres bei der Frage, wie es mit dem Haus weitergehen soll, schier unversöhnlich gegenüber. Es gab eine Phase, da man sich als Außenstehender um den Bestand der Akademie Sorgen machte. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Künstler und eine Kultureinrichtung so miteinander verschmolzen sind, dass diese Einrichtung ohne den Künstler prompt implodiert.

Dass jetzt zu Beginn des Musikfestes kaum noch jemand von dieser Krise spricht, liegt schlicht an der alle überzeugenden Personallösung, die von den Gremien doch gefunden wurde: Mit dem Dirigenten Hans-Christoph Rademann als künstlerischen Chef und dem Intendanten Gernot Rehrl als Lenker der Geschäfte sind zwei über jeden vorauseilenden Zweifel erhabene Persönlichkeiten gekommen – von außen, aus Dresden und Berlin, was dokumentiert, wie hoch die Musikwelt den Wert und das Potenzial einer Leitungsposition in der Bachakademie in Stuttgart einschätzt.

Keine Scheu vor Neuerungen

Den Stuttgarter Musikfreunden stehen nun zweieinhalb spannende Wochen bevor. Rademann und Rehrl haben dieses Musikfest konzipiert. Sie geben nicht nur am Samstag beim Stabwechsel dem Gründervater Helmuth Rilling die Ehre, sie nehmen auch viele Traditionen seiner früheren Musikfeste auf, um doch zugleich zu zeigen, wo sie neue Akzente setzen wollen. Der musikalische Bogen wird von Bach und Händel bis zu den Komponisten unserer Tage reichen, wird dabei an viele Orte der Stadt führen – und die neuen Chefs scheuen sich auch keineswegs, das von Red Bull finanzierte internationale Breakdance-Projekt „Flying Bach“ in die Liederhalle zu holen.

Doch auch gleich am Donnerstagabend zeigt das Stuttgarter Musikfest die ganze Stärke seiner Tradition: Wenn Daniel Barenboim im Beethovensaal sein israelisch-palästinensisch-arabisches Jugendorchester dirigiert, dann steht dies eben auch für jene große, eigentlich irrationale, aber unstillbare Hoffnung auf eine versöhnende, Völker verbindende Kraft der Musik, die gerade Helmuth Rilling nun schon so viele Schaffensjahre antreibt. Einem Anfang wohnt bisweilen Zauber inne. Man wünscht es auch diesem Wechsel.