Nach Berechnungen des Statistischen Landesamts fällt der Rückgang bei den Schülerzahlen viel geringer aus als erwartet. Doch Grün-Rot zieht daraus keine Konsequenzen, kritisiert die StZ-Redakteurin Renate Allgöwer.

Stuttgart - Zwei Jahre lang ist die Bildungspolitik Baden-Württembergs um eine magische Zahl gekreist. 11 600. So viele Lehrerstellen sollten bis zum Jahr 2020 abgebaut werden, weil es bis dahin weniger Schüler gebe und weil der Staat sparen müsse. Der Kultusminister murmelt längst beim bloßen Gedanken an die Unzahl heimlich ein Gottseibeiuns und wünscht, sie würde dem Vergessen anheimgegeben. Abwarten hieß es, eine neue Zahlengrundlage müsse her. Jetzt sind die neuen Daten da – und nichts ist einfacher geworden.

 

Irgendwie zeichnet sich nun ab, dass es mit den 11 600 geht, wie es häufig geht mit magischen Zielen: Sie erweisen sich als unerfüllbar. Ein neues Ziel dagegen mag sich die grün-rote Landesregierung in der Bildungspolitik nicht stecken. Zu schwierig sei es, in den Schulen den Bedarf an Lehrern vorauszusehen.

Tatsächlich gibt es Unwägbarkeiten. Der Zuzug von Fachkräften und Flüchtlingen ist schwer zu prognostizieren. Dass aber Reformen des Schulsystems Veränderungen der Schülerzahlen nach sich ziehen, ist so überraschend nicht. Wenn eine Schulart wie die Hauptschule mit einem neunjährigen Bildungsgang quasi abgeschafft wird, und die Schüler in Schulen wechseln, die mindestens zehn Jahre dauern, bleiben die Jugendlichen länger im System. Solche Veränderungen müssten schon abzusehen sein, wenn Reformen eingeleitet werden.

Bloß keine Zahlen mehr nennen!

Vor diesem Hintergrund war es mehr als irreführend, vor zwei Jahren ein Sparziel zu formulieren, das in weiten Teilen auf den statistischen Daten von vor fünf Jahren basierte. Die Koalition hat es zugelassen und sogar selbst betrieben, dass das Sparziel 11 600 sich zu einem Kampfbegriff verselbstständigt hat. Während die Grünen treu zu dem von ihrem Regierungschef voreilig öffentlich gemachten Ziel hielten, machte sich die SPD einen Sport daraus, immer wieder hier ein paar Hundert, da ein paar Tausend Stellen herauszubrechen, und das als politischen Erfolg zu feiern.

Jetzt gilt die neue Devise in den Regierungsfraktionen: bloß keine Zahlen mehr nennen. Das lässt alle Spielräume offen und ermöglicht die Politik des Lavierens. Diese Taktik verwundert knapp eineinhalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl keineswegs. Gibt es doch gerade in der Bildungspolitik reichlich Punkte, bei denen Grüne und SPD unterschiedlicher Meinung sind. Die Haltung zum neunjährigen Gymnasium ist nur einer davon. Sollte die SPD die Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 durchsetzen, ist die schönste Schülerprognose schon wieder Makulatur.

Grün-Rot will sich alle Optionen offen halten

Überzeugend ist diese Haltung aber nicht. Auch wenn es nach den neuesten Zahlen der Statistiker in den nächsten sechs Jahren mehr Schüler in Baden-Württemberg geben wird als bisher erwartet, so bleibt doch unter dem Strich das Ergebnis, dass die Zahl der Schüler sinkt. Darauf muss die Politik reagieren. Die Antwort kann nicht auf Dauer lauten, weniger Schüler und mehr Lehrer. Jetzt ist geplant, jedes Jahr die Zahlengrundlage zu aktualisieren und auf dieser Basis neu zu entscheiden. Das klingt realistisch, zeugt aber nicht von politischem Entscheidungswillen.

Schlagworte wie: „Wir werden die Qualität des Unterrichts sichern“ und „Vorfahrt für Bildung“ sind populär, aber schwammig. Von einem Jahr zum nächsten sind allenfalls Nachjustierungen sinnvoll. Ein übergeordnetes Ziel muss vorher formuliert werden. Mit mittelfristiger strukturierter Haushaltsplanung hat das so wenig zu tun wie mit vorausschauender Bildungspolitik. Die Absicht ist erkennbar, Grüne und SPD wollen sich alle Möglichkeiten offen halten. Unbestimmtheit in derart hohem Grad öffnet aber Spekulationen Tür und Tor. Gibt es nicht doch geheime Sparpläne? Findet Grün-Rot keine gemeinsame Linie mehr? Klarheit und Verlässlichkeit gewinnen Lehrer, Eltern und Schüler durch solch eine Politik nicht.