Stuttgarts Bürger mögen ihre Stadt - aber sie kennen auch die Schwachpunkte. Das hat die Bürgerumfrage gezeigt, schreibt Thomas Borgmann.
 

Stuttgart - Martin Schairer, der Bürgermeister für Sicherheit und Ordnung, zählt eher zu den Stillen auf der Chefetage des Stuttgarter Rathauses. Der Christdemokrat, in dessen Ressort auch das Statistische Amt gehört, schätzt die kommunale Sacharbeit mehr als das politische Säbelrasseln - umso bemerkenswerter sind die deutlichen Worte, die er gleichermaßen an den Gemeinderat und die Stadtverwaltung gerichtet hat: "Ich finde, wir sollten selbstbewusster sein!"

 

Damit meint er dies: Stuttgart steht, alles in allem, besser da als die meisten vergleichbaren Großstädte. Deshalb ist eine klare Kommunalpolitik, die sich an Fakten orientiert, wichtiger als eine, die immer wieder vermeintlichen Stimmungen in der Bürgerschaft folgt. Und: es ist riskant, den Menschen nach dem Mund zu reden, denn sie sind klüger, als das manch einer im Rathaus denkt.

Thesen belegt

Martin Schairer hat recht. Die Ergebnisse der neunten Bürgerumfrage, die das Statistische Amt jetzt vorgelegt hat, bestätigen seine Thesen eindrucksvoll. Stuttgarts Bürger mögen ihre Stadt, schätzen ihre Vorzüge - sie wissen aber auch genau, wo ihre Schwachpunkte liegen: Die Mieten sind zu hoch, das Wohnungsangebot ist zu knapp! Der Fingerzeig der Menschen an das Stadtparlament lautet also Wohnungsbau. Kein Wunder in einer Großstadt, in der der soziale Wohnungsbau schon vor Jahren praktisch zum Erliegen gekommen ist.

Wenn man bedenkt, dass beim sogenannten Bürgerhaushalt über das Internet, den die Stadt 2011 erstmals möglich gemacht hat, der Ausbau des alten Freibädles in Sillenbuch mit Abstand den ersten Rang eingenommen hat, dann versteht man Schairers unverblümte Kritik an dieser nur scheinbar so progressiven Art der Volksbeteiligung. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die traditionelle und im wissenschaftlichen Sinn repräsentative Bürgerumfrage, die es seit Mitte der Neunziger alle zwei Jahre gibt, ist grundsolide - das Votum über das Internet, das Gruppeninteressen Tür und Tor öffnet, fällt dahinter weit zurück. Stuttgart sollte dem Beispiel vieler anderer Kommunen folgen und das Geld für den wenig seriösen Bürgerhaushalt künftig sparen.

Reale finanzielle Möglichkeiten

Apropos Haushalt. Anfang Oktober geht der Sitzungsmarathon für den Doppeletat 2012/13 los. Dann müssen der Oberbürgermeister und die sechzig Ratsmitglieder die vielen verschiedenen Wünsche der Bürger abwägen gegen die realen finanziellen Möglichkeiten. Der Gemeinderat allein entscheidet über die Milliardensummen, er allein trägt die politische Verantwortung dafür, wie es in Stuttgart weitergeht. Die Bürger haben Hinweise gegeben: Die einen beklagen die mangelhafte Sauberkeit der Stadt, andere kritisieren den Zustand vieler Straßen, wieder andere wollen mehr Radwege, einige sind übrigens gegen mehr Radwege. So oft die Politik die Bürger befragen mag: allen recht machen kann sie es nicht. Deshalb braucht es auf dem Rathaus vor allem eines - den Mut zu entscheiden.