Die Bundesregierung setzt die Erkundung von Gorleben als atomares Endlager aus. Nun muss die Politik insgesamt das Taktieren einstellen und ehrlich den Konsens suchen, meint StZ-Redakteur Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Am 13. November 1960 ging in der unterfränkischen Gemeinde Karlstein das erste kommerziell betriebene Kernkraftwerk der Bundesrepublik in Betrieb. Wer heute nach Überresten der Atomanlage sucht, wird vor Ort nicht mehr recht fündig. Bereits Mitte der 80er Jahre wurde der Siedewasserreaktor vom Netz genommen, seit dem Sommer 2010 sind die letzten Gebäudereste beseitigt. Unsichtbar für den Besucher ist auch der atomare Müll, den das Kernkraftwerk produziert hat. Er dürfte unverdrossen vor sich hinstrahlen, provisorisch untergebracht in irgendwelchen Zwischenlagern.

 

Seit mehr als fünfzig Jahren wird in Deutschland Atomstrom produziert, aber bis heute gibt es kein tragfähiges Konzept für eine Endlagerung des nuklearen Mülls. Es geht um ein Problem mit einer für Menschen nur schwer begreiflichen Zeitperspektive; im besten Fall wird der Müll für die Ewigkeit gelagert. Es ist ein Problem, das im gesellschaftlichen Konsens gelöst werden sollte; nur dann ist ein Ergebnis zu erwarten, das unzählige Generationen und unwägbare politische Wechsel überdauert. Und ganz offensichtlich handelt es sich um ein Problem, an dessen Lösung die handelnden Politiker seit Jahren scheitern.

Mit seiner Entscheidung, die Erkundung des Standortes Gorleben bis nach der Bundestagswahl 2013 auszusetzen, unternimmt Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) einen neuen Versuch, den Weg zu einem nationalen, parteiübergreifenden Konsens zu ebnen. Das ist zu loben. Denn die Causa Gorleben war, ist und bleibt der größte Brocken, der einer Verständigung im Wege steht.

Die Zweifel an Gorleben reichen bis tief in die CDU

Seit der niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) 1977 verkündete, der Salzstock Gorleben solle ein Endlager beherbergen, hat dies massenhaften Protest ausgelöst. 35 Jahre lang war Gorleben die einzige Endlageroption, mehr als 1,6 Milliarden Euro wurden bereits in die Erforschung gesteckt – ohne ein gesichertes Ergebnis. Während die Atomindustrie den Untergrund des Wendlandes bis heute für geeignet hält, gibt es bei den politischen Parteien bis tief in die Reihen der CDU hinein allergrößte Zweifel an seiner Tauglichkeit. Solange Gorleben ohne durchgeprüfte Alternativen bleibt, wird es keinen Konsens geben.

Es ist vor allem dem Grünen Winfried Kretschmann zu verdanken, dass Konsensgespräche überhaupt wieder in Gang gekommen sind. Nach der Fukushima-Katastrophe hatte der baden-württembergische Ministerpräsident 2011 angeboten, auch im eigenen Bundesland nach Lagerplätzen für nuklearen Abfall suchen zu lassen. Er hatte damit die Wegduck-Strategie der anderen Länderchefs durchbrochen, die zwar munter über die Vor- und Nachteile von Endlagerstandorten im Allgemeinen schwadronierten, aber stets verhinderten, dass auch bei ihnen zu Hause nachgeschaut wird.

Bisher dominieren kurzfristige parteipolitische Interessen

Die Vorstöße für eine ergebnisoffene, alternativenreiche Endlagerprüfung verpufften allerdings, weil kurzfristige parteipolitische Interessen die Oberhand behielten. So wurde eine Verständigung vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ebenso torpediert wie vor der in Kürze anstehenden Niedersachsenwahl. Welche Partei für dieses Versagen die größte Schuld trägt, ist kaum auszumachen. Christdemokraten, Sozialdemokraten und Grüne – alle haben ihren Anteil.

Nach Altmaiers Gorleben-Offerte versichern nun alle Parteien, bis hin zu Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne), sie wünschten sich einen Konsens vor der Bundestagswahl. Noch gibt es eine kleine Hoffnung, dass dies mehr ist als tagespolitisch motiviertes Gerede. Denn gerade im Fall des Atommülls sollte sich die Politik an eine Weisheit des chinesischen Philosophen Laotse erinnern: „Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut.“