Unter normalen Umständen hätte Jeroen Dijsselbloem eine Schonfrist. Aber die Umstände sind nicht normal. Und in der Eurokrise wird die Unerfahrenheit des Eurogruppenchefs zum Risiko, kommentiert der StZ-Brüsselkorrespondent Christopher Ziedler.

Brüssel - Traditionell bekommt jeder Neuling in einem wichtigen Amt eine Schonfrist von 100 Tagen gewährt. Unter normalen Umständen würde das wohl auch für den niederländischen Finanzminister Jeroen Dijsselbloem gelten, der überhaupt erst seit November im eigenen Land die Staatskasse bewacht und gerade mal vor zwei Monaten von seinen europäischen Amtskollegen zum Präsidenten der Eurogruppe gekürt worden ist. Aber was ist schon normal in dieser für Europa und seine gemeinsame Währung so existenziellen Krise? Wer Urteile über Wohl und Wehe ganzer Volkswirtschaften verkündet, darf nicht auf Schonung hoffen – zu Recht.

 

Das Zeugnis nach 65 Tagen fällt somit desaströs aus. Dijsselbloem mag sich bemüht haben, stets freundlich aufzutreten. Seine Brüsseler Mitarbeiter berichten von fachlicher Kompetenz und Lernwilligkeit. Im Ergebnis aber hat sein Kommunikationsmanagement die Zypernkrise eindeutig verschlimmert: Keine Frage, die erste Entscheidung der Eurogruppe, auch kleinere Sparguthaben mit einer Zwangsabgabe zu belegen, war schlecht. Auf der Pressekonferenz aber erwähnte er sie erst gar nicht und trug dann die Argumente zu ihrer Verteidigung ziemlich konfus vor. Seine Erklärungen während der folgenden Chaoswoche waren kaum weniger klar. Und auch nach der zweiten Zypernentscheidung torpedierten seine Äußerungen in Interviews den Effekt der weithin begrüßten Einigung.

Unerfahrenheit als Risiko

Dijsselbloem zahlt Lehrgeld. Er kann bis jetzt noch nicht damit umgehen, dass jedes seiner Worte schwer wiegt. Sonst hätte er der Zypernrettung mit all ihren potenziellen Risiken und Nebenwirkungen nicht vorschnell Modellcharakter zugesprochen.

Den Eurokrisenmanagern war das Risiko seiner Unerfahrenheit bewusst. Der Niederländer erhielt den Zuschlag, weil es kaum Alternativen gab: Für Berlin kam nur der Vertreter eines Landes mit bester Bonität infrage, Wolfgang Schäuble wurde von Frankreich blockiert, nach Jean-Claude Juncker konnte es nicht wieder ein Luxemburger werden. Die Österreicherin Maria Fekter ist in der Runde nicht eben beliebt, bei der Finnin Jutta Urpilainen stellen viele die Kompetenz infrage – blieb allein Dijsselbloem. Das ist auch ein Grund dafür, dass keine relevante Stelle nach dem Zyperndesaster Konsequenzen fordert. Es gibt derzeit keine personelle Alternative. Und insgeheim mögen die Minister wissen, dass ihr Eurorettungskurs kritikwürdig ist – unabhängig davon, wie gut oder schlecht ihr Vordermann ihn nach außen verkauft.