Der FDP-Generalsekretär Christian Lindner gibt auf. Geht es so weiter, wird ihm der Parteichef Philipp Rösler bald folgen, schreibt Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Berlin - Die Totenglocken für die FDP sind schon des Öfteren voreilig geläutet worden. "Würden wir die FDP vermissen?", fragte etwa "Die Zeit" im Jahr 1971 - zu Zeiten also, als in der Partei noch Männer wie Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Karl-Hermann Flach das Sagen hatten. Die FDP hat seitdem ein stetes Auf und Ab erlebt. Aber in ihren schlimmsten Stunden war sie immer agil genug, dem Tod von der Schippe zu springen.

 

Die Vorsicht gebietet also, den Rücktritt des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner nicht historisch zu überhöhen. Noch ist die FDP nicht am Ende. Dennoch ist die Demission des juvenilen Vordenkers ein Menetekel für die Partei. Ihr innerer Zerfall hat sich erneut beschleunigt.

Misstrauenserklärung gegen Rösler

Lindner war in der "Boygroup" um den Vorsitzenden Philipp Rösler, die im Mai halbherzig den Sturz Guido Westerwelles wagte, der intellektuelle Kopf. Er stand für eine FDP, die sich aus der monothematischen Verengung Westerwelles ("Steuern senken!") löst, der das Wort "sozial" wieder ohne Schaudern über die Lippen kommt und die eine Sprache pflegt, die gedanklich wie rhetorisch anspruchsvoll sein will.

Wenn Lindner in seiner knappen Rücktrittserklärung sagt, er wolle seinen Platz frei machen, "um eine neue Dynamik zu ermöglichen", ist dies eine kaum verklausulierte Misstrauenserklärung gegen Rösler. Denn wer sonst soll Lindner gehindert haben, seine Vorstellungen von Dynamik zur Geltung zu bringen?

Rösler wie in Schockstarre

Die "Boygroup" aus Rösler, Lindner und Gesundheitsminister Daniel Bahr ist aufgelöst. Der schon im Frühjahr keimende Verdacht ist bestätigt, dieses Trio aus der Generation 30plus sei zu zart besaitet für die Führung der FDP, in der intrigantes Verhalten traditionell hoch im Kurs steht. Parteichef Rösler wirkt nach Lindners Demission wie in Schockstarre. Er weiß zwar, dass seine Autorität als Parteichef erodiert. Aber er weiß offensichtlich nicht, wie er diese Erosion stoppen soll.

Der Umgang mit dem Mitgliederbegehren zum Euro-Rettungsschirm steht exemplarisch für sein Führungsversagen. Inzwischen ist schon fast egal, wie die Abstimmung ausgeht: Rösler wird auf jeden Fall zu den Verlierern gehören. In den Reihen seines Koalitionspartners CDU fragten sich von Anfang an viele, wie ein Parteichef und Vizekanzler ein solches Basisvotum überhaupt zulassen kann - bedeutet es doch im Ernstfall, also bei einer Mehrheit der Rettungsschirmgegner, das Ende der schwarz-gelben Regierung. Der Abstimmungsprozess selbst war gekennzeichnet durch organisatorische Pannen, die Rösler wie Lindner den Vorwurf eintrugen, sie wollten aus der Parteizentrale heraus das Ergebnis zu ihren Gunsten manipulieren. Dass Rösler vor der Auszählung verkündete, weder sei das notwendige Quorum noch eine Mehrheit für den Euro-Rebellen Frank Schäffler erreichbar, war instinktlos und dumm. Behält Rösler Recht, wird das Gift der Manipulationsvorwürfe innerparteilich weiter wirken. Zeigt die Auszählung, dass er unrecht hatte, kann der Parteichef gleich als nächster seinen Rücktritt erklären.

Spätestens im Frühjahr wird sein Rücktritt gefordert

Um sich als FDP-Chef zu behaupten, bräuchte Rösler neben mehr Talent und Können vor allem Zeit. Sie wurde ihm nicht gewährt, und sie wird ihm nicht mehr gewährt werden. Spätestens wenn die Liberalen im Frühjahr den Einzug in den schleswig-holsteinischen Landtag verpassen, wird Rösler genau dort sein, wo sein Vorgänger Westerwelle ein Jahr zuvor stand: dann wird aus den eigenen Reihen vielstimmig seine Demission gefordert werden.

Im Hintergrund wartet Rainer Brüderle darauf, das Erbe anzutreten. Der 66-jährige Fraktionschef verkörpert den Pfälzer Weißwein-Liberalismus: gemütlich, selbstzufrieden, altbacken. Wenn Brüderle die Zukunft der Liberalen wird, ist die alte "Zeit"-Frage noch dringlicher als heute zu stellen: "Würden wir die FDP vermissen?"