Portugal ist Fußball-Europameister, weil es der Geschichte ein Schnippchen schlägt. Die Mannschaft siegt in Paris auch über ein nationales Trauma, kommentiert unser Sportredakteur Carlos Ubina.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Paris - Das Wort „historisch“ fällt im Sport ja mittlerweile häufig. Denn nahezu alle erfolgreichen Leistungen auf großer Bühne scheinen nur noch in einer geschichtlichen Dimension erfassbar zu sein. Im Falle der portugiesischen Fußballer ist der EM-Triumph von Paris mit dem Sieg über Frankreich aber tatsächlich einmalig: Erstmals hat die Nationalmannschaft von der iberischen Halbinsel einen Titel gewonnen.

 

Zu verdanken hat sie dies einer Elf, die so ganz anders ist als die vor Jahren oft in Lobeshymnen besungene goldene Generation um den fantastischen Luis Figo. Portugal hat sich in Frankreich mit einem Trainer und einem Team präsentiert, das sich dem Pragmatismus verschrieben hat.

Als die großen Spielverderber kann man sie betiteln: vom spröden Anfang, als sie bis zum Halbfinale keine Partie innerhalb von 90 Minuten gewannen, bis zum süßen Ende, als sie die Franzosen in die Knie zwangen. Deshalb steht jetzt nicht nur der Kapitän Cristiano Ronaldo als strahlender Sieger da, sondern vor allem Fernando Santos.

Dem Coach ist es gelungen, eine Einheit zu bilden, die den egozentrischen Ronaldo einschließt – aber auch ohne ihn auskommt, wenn er sich wie am Sonntag verletzt. Santos ist es auch gelungen, eine Siegermentalität zu entwickeln – aller Kritik am defensiven Spielstil zum Trotz und der Geschichte ein Schnippchen schlagend: 2004 unterlag Portugal im EM-Finale von Lissabon dem Außenseiter Griechenland.

Das war das große Trauma einer stolzen Fußballnation, und die bittere Niederlage verfolgte auch den ruhmreichen Cristiano Ronaldo, der damals als 19-jähriges Talent schon am Ball war. Nun haben die Portugiesen die Gastgeber überrascht – und sich nach langem Leidensweg zu den neuen Griechen des Fußballs erhoben.