Die SPD sträubt sich gegen eine Neuauflage der Großen Koalition. Die Partei hat dafür sehr gute Gründe, aber gleichzeitig gilt: sie hat keine bessere Wahl. Ein Kommentar von StZ-Politikchef Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Die SPD muss eine Frage beantworten, auf die sie nach eigener Wahrnehmung nur falsche Antworten geben kann: Soll sie erneut eine Große Koalition mit der Union bilden? Man hat die Genossen förmlich vor Augen, wie sich alles in ihnen gegen diese Vorstellung aufbäumt. Wie sie aufstöhnen und flehen, dieser Kelch möge an ihnen vorübergehen.

 

Die emotionale Reaktion ist mehr als verständlich, denn die letzte Erfahrung der SPD mit einer Großen Koalition liegt nur eine Legislaturperiode zurück – und sie war bitter. Im Jahr 2005 wählten die Sozialdemokraten Angela Merkel zur Kanzlerin und glaubten, alles richtig zu machen. Sie drückten dem Koalitionsvertrag ihren roten Stempel auf, sie besetzten die aus ihrer Sicht bedeutsamen Ministerposten. Mochte Merkel auch im Chefsessel sitzen, die Sozialdemokraten lebten in dem Gefühl, sie bestimmten in den wichtigen Fragen die Richtlinien der Politik. Und so war es auch. Dann kam der Schock. Die Wähler straften die SPD in der Wahl 2009 ab, sie ging mit dem schlechtesten Ergebnis ihrer bundesdeutschen Geschichte in die Opposition. Merkel blieb Kanzlerin.

Unerquickliche Szenarien

Was ist nun der Unterschied zwischen der Situation 2005 und der heutigen? Es ist für die SPD alles noch schlimmer. Angela Merkel bringt nach der Wahl 2013 mehr Stimmengewicht auf die Waagschale als damals. Von einer Großen Koalition zu sprechen ist beinahe Euphemismus: Mit 192 Stimmen im Bundestag ist die SPD im Verhältnis zur Union (311 Stimmen) nicht mehr als ein größerer Juniorpartner. Träte die SPD in die Regierung ein, blieben im Parlament nur zwei Oppositionsparteien zurück: Linke und Grüne. Die Linkspartei könnte sich als einzig wahre soziale Kraft aufspielen, die Grünen würden sich als die neue liberale Kraft einsortieren – ein für die SPD mehr als unerquickliches Szenario.

Der heftige Widerstand, der sich zurzeit innerhalb der Partei gegen Merkels erneute Avancen zeigt, ist mithin nachvollziehbar. Dennoch: die Große Koalition ist für die SPD auch heute die beste unter allen schlechten Möglichkeiten.

Das Ziel jedes Politikers sollte Gestalten sein, das kann die SPD nur durch Regieren. Unüberwindbare inhaltliche Gräben zur Union sind nicht ersichtlich, dagegen spricht schon die Regierungsarbeit zwischen 2005 und 2009. Unter allen rechnerisch möglichen Alternativen ist die Große Koalition zudem jene, die im Volk die mit Abstand größte Zustimmung findet. Aber die stärksten Argumente für ein zähneknirschendes Ja werden die Genossen finden, wenn sie die Alternativen durchdenken.

Die SPD sollte verhindern, dass das Land regierungsunfähig ist

Gäbe es, was schon wegen der grünen Selbstzerfleischung höchst unwahrscheinlich ist, eine schwarz-grüne Regierung, säße die SPD in der Opposition allein neben der Linkspartei. Diese würde sie als soziales Gegengewicht täglich überbieten. Und die Grünen hätten sich eine zusätzliche Regierungsoption neben Rot-Grün erarbeitet.

Die SPD könnte auch Rot-Rot-Grün ansteuern, dafür gibt es eine rechnerische Mehrheit im Bundestag. Neben sachlicher Unverträglichkeit und einer wohl sicheren Verweigerung der Grünen hieße das aber auch: die SPD würde Andrea Ypsilantis Wortbruch in Hessen 2008 wiederholen mit allen damals erlebten Folgen – einer innerparteilichen Spaltung sowie dem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit.

Bleibt die bockige Verweigerung jeder Koalition. Deutschland triebe in die Regierungsunfähigkeit, dies würden die Bürger der SPD kaum verzeihen. Am Ende einer chaotischen Übergangsphase stünden wohl Neuwahlen. Nicht unwahrscheinlich, dass danach FDP und AfD neben einer nochmals geschwächten SPD im Bundestag säßen – und es wieder nicht für Schwarz-Gelb reicht. Was kommt dann? Mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Große Koalition. Die SPD sollte sich und dem Land solche Irrwege ersparen.