Die Lage nach der Bundestagswahl ist schwierig. Eine Staatskrise haben wir aber nicht. Das ist nicht nur der klugen Verfassung zu verdanken, meint die Berlin-Korrespondentin Bärbel Krauß.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach seiner Vereidigung davon sprach, wir steuerten auf „unkartiertes Gelände“ zu, dachte er nur mittelbar an seine eigenen Aufgaben als Staatsoberhaupt, unmittelbar aber an die populistischen Strömungen in Europa, die die Demokratie in ungekannter Weise infrage stellen. Darum wollte er sich in seiner Amtszeit kümmern: den Bürgern und der Politik Mut für das Ringen mit dieser Herausforderung machen. Dass exakt neun Monate später eine neue, in der Bundesrepublik bisher unbekannte Schwierigkeit bei der Bildung einer Bundesregierung als ganz persönliche Herausforderung auf ihn zukommen würde, konnte er nicht ahnen.

 

Über den Präsidenten Steinmeier, dem es in seiner bisherigen Amtszeit nicht so recht gelingen wollte, sich von dem Außenminister abzuheben, der er zuvor gewesen ist, ist seither viel geschrieben worden. Seit Sonntagnacht ist klar, dass dieser Bundespräsident seine Rolle und sein Profil in der aktuellen politischen Krise nach dem Scheitern der Jamaikasondierung finden wird. Es ist ein Glück, dass Steinmeier dabei nicht in unkartiertem Gelände unterwegs ist, sondern das Grundgesetz als Wegweiser hat. Die Verfassung, die 1949 aus den Erfahrungen der Weimarer Republik heraus formuliert wurde, hat nicht nur die Normalfälle demokratischer Prozesse geregelt, sondern auch für Krisenzeiten vorgesorgt, in denen das politische System an den Rand seiner Funktionsfähigkeit gerät.

Es droht weder Chaos noch Staatskrise

Auch wenn im Augenblick noch niemand genau sagen kann, wie die Krise bewältigt werden wird, droht weder Chaos noch Staatskrise. Davon sind wir aus mehreren Gründen weit entfernt. So gibt es Regeln, die nun zum ersten Mal angewandt und ausgelegt werden können und müssen. Das ist ein guter Ausgangspunkt.

Der Bundespräsident hat ihn bei seinem raschen und bedachten Auftritt nach dem Scheitern der Jamaikasondierung klug genutzt. Es ist richtig, dass er allen Parteien im Bundestag die Leviten gelesen und sie an ihre Verpflichtung erinnert hat, das Wählervotum zu respektieren und alle Anstrengungen zu unternehmen, um eine von einer Mehrheit getragene Regierung zustande zu bringen – auch wenn es nach dieser Bundestagswahl schwierig ist, was niemand bestreiten sollte.

Der Weg zu Neuwahlen ist steinig und das ist auch gut so

Einfach sind Neuwahlen mit Steinmeier nicht zu haben, was nicht heißt, dass es am Ende nicht doch dazu kommen kann. Aber es ist gut, dass der Bundespräsident die politischen Kräfte ins Gebet genommen und dazu aufgerufen hat, ihre Positionierungen in der Koalitionsfrage zu überdenken. Als Demokraten sind sie das der Demokratie und ihren Wählern schuldig. Zu einer Wende nötigen wird Steinmeier in seinen Gesprächen mit den Parteichefs wohl weder die Sozialdemokraten noch die Liberalen. Aber auf Argumente, die deren unterschiedlich motivierte Absagen an eine Regierungsbeteiligung gegen den Strich bürsten, müssen sie sich schon gefasst machen. Es wäre falsch, wenn Christian Lindner und Martin Schulz den Austausch darüber nur als lästige Formsache betrachten und abhaken würden.

Nicht nur die Verfassung, auch ihre Organe stiften vertrauen

Neben den weitsichtigen Vorgaben im Grundgesetz stiften in diesen Tagen die amtierenden Verfassungsorgane Vertrauen. Das gilt nicht nur für Frank-Walter Steinmeier, sondern auch für den frisch gewählten Parlamentspräsidenten Wolfgang Schäuble. Er hat die erste Arbeitssitzung des 19. Deutschen Bundestags genutzt, um die Abgeordneten daran zu erinnern, dass Kompromissbereitschaft für die Regierungsbildung unerlässlich ist und dass das nichts mit Umfallerei oder Profillosigkeit zu tun hat. Einfach werden die nächsten Wochen nicht. Aber zwei Tage nach dem Abbruch der Jamaikasondierung gibt es doch auch Grund zur Zuversicht, dass die aktuelle Lage sich nicht zur Dauerregierungskrise auswachsen wird.