Im Süden Europas sind bis zu zwei Drittel der jungen Menschen ohne Arbeit. Das birgt sozialen Sprengstoff für viele Jahre, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Von jeher gilt in dieser Republik das Prinzip, dass die Jugend es besser haben möge als ihre Vorfahren. Dieser Generationenvertrag wird ungefähr seit der Jahrtausendwende sukzessive außer Kraft gesetzt. Viele jungen Menschen haben nicht mehr die Aussicht auf eine feste Vollzeitbeschäftigung. Somit mangelt es ihnen auch an Sicherheit, eine Familie zu gründen – weil die Arbeitswelt derlei Garantien oft nicht mehr hergibt.

 

In vielen anderen Ländern Europas wird der Generationenvertrag sogar binnen weniger Jahre ins Gegenteil verkehrt: Dort sind junge Menschen die großen Verlierer der Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise. Sie haben weder die Chance auf Arbeit noch auf eine gute Zukunft. Ihre Perspektivlosigkeit wird die Idee von der Einheit der Völker nachhaltig beschädigen und die politische Richtung Europas verändern, wenn nicht rasch etwas geschieht.

Gerade erst hat die Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) Alarm geschlagen: In Griechenland und Spanien sind fast zwei Drittel der Jugendlichen bis 24 Jahre ohne Beschäftigung; in Italien und Portugal trifft dies noch mehr als ein Drittel. Viele junge Menschen haben die Suche nach einem Job schon aufgegeben. Sie haben ihren Glauben an staatliche Institutionen verloren – und an Europa sowieso. Sie mussten hören, dass die Rettung von Banken lange Zeit als alternativlos galt, während sie selbst, das sogenannte Humankapital, nicht mehr benötigt werden.

Die Bundesrepublik ist eine Insel der Seligen

Deutschland ist in dieser Hinsicht eine Insel der Seligen – gerade der Süden der Republik mit einer Jugendarbeitslosenquote von unter fünf Prozent. Dennoch darf uns die Misere jenseits der Grenzen nicht unberührt lassen. Finanzielle Not macht junge Menschen anfällig für ausbeuterische Tendenzen mit immer mehr prekärer Arbeit. In der Folge sinken das allgemeine Lohn- und das Qualifikationsniveau. Und die Betroffenen schleppen ihre heutigen Probleme bis zur Rente mit, was später weitere staatliche Fürsorge erfordert.

Gravierend sind nicht zuletzt die politischen Auswirkungen. Wo sich Arbeitsmangel, Abstiegsängste und Armut breitmachen, verfestigt sich auch extremistisches Gedankengut: Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit und die Radikalisierung einer Generation. Daraus könnten Unruhen erwachsen, heftiger noch als das, was schon in Griechenland und Spanien zu erleben ist. Die anfängliche Finanzmarktkrise hat eine Sozial- und Gesellschaftskrise in Europa ausgelöst, die hierzulande an die unselige Zeit der Weimarer Republik erinnert.

Es braucht einen europäischen Pakt

In Brüssel ist der soziale Sprengstoff erkannt worden. Ob die bereitgestellten Milliarden Euro zielgerichtet eingesetzt werden, muss aber genau beobachtet werden. Beispielgebend sind zudem Deutschland mit der dualen Ausbildung oder Österreich, das der Jugend eine Einstiegsgarantie gewährt. All dies reicht allerdings nicht. Vonnöten wäre so etwas wie ein grenzübergreifender Pakt. Beispielsweise gilt es, bürokratische Hürden abzubauen und einen kontinentalen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Die Bundesregierung könnte das Signal setzen, dass sie nicht nur am Sparen, sondern auch am Wohlergehen der Jugend in Europa interessiert ist. Dies würde helfen, ihren beschädigten Ruf zu verbessern.

Auch die Wirtschaft muss beweisen, wie wichtig ihr der Zusammenhalt ist. Bei aller Fixierung auf China und andere aufstrebende Weltmärkte droht der Blick vor die Haustür verloren zu gehen. Die international vernetzten Unternehmen könnten darauf hinwirken, dass ihre europäischen Partner der Jugend mehr Chancen einräumen. Und alle Betriebe könnten sich aktiver als bisher für eine Willkommenskultur in Deutschland einsetzen, um den grenzübergreifenden Austausch der jungen Arbeitskräfte zu unterstützen. Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft – es ist höchste Zeit, dies noch besser zu verinnerlichen.