Die Bilder der Katastrophe auf den Philippinen erreichen uns sofort, die Hilfe für die Menschen vor Ort dauert dagegen. Das ist schwer auszuhalten, denn wir sind einen solchen Stillstand nicht gewohnt, meint der StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Wir lieben Zahlen. Zahlen gaukeln einem schließlich so etwas wie Genauigkeit vor. Drei Tote habe es gegeben, hieß es zuerst auf den Philippinen. Dann waren es lange Zeit 138. Es wurden Tausende, Zehntausende und schließlich 2500. Jeder Tag gebiert eine andere, Exaktheit vorspiegelnde Zahl. Dabei wird das Zählen noch viele Tage weitergehen.

 

Inzwischen zählen wir auch die Hilfe. Da schickt eine THW-Gruppe 400 Kilo Medikamente, in einen Flugzeugbauch werden 5400 Fleece-Decken und 3000 Plastikplanen geladen, und die Vereinten Nationen haben errechnet, dass 11,3 Millionen Menschen unter den Folgen des Sturms leiden. 40 Prozent von ihnen Kinder. Und immer mehr drängt sich die Frage auf, warum die Helfer und die Leidenden nicht so recht zueinanderfinden. Manch ein Helfer wirkt da recht hilflos. Manch ein potenzieller Spender fragt sich, ob er nach den Meldungen über Schießereien und Plünderungen überhaupt noch den Zahlschein ausfüllen soll. Klare Antwort: ja.

Das Tempo der Veränderung wird immer höher

Die Menschen in Tacloban werden noch auf Jahre hinaus Hilfe benötigen. So wie die Menschen in Cagayan de Oro. Dort, rund 300 Kilometer südlich vom jetzigen Unglücksort, blies vor zwei Jahren ein Tropensturm. Noch heute leben zahlreiche Menschen in provisorischen Unterkünften. Ein wenig weiter im Süden, wo im Dezember 2012 ein Taifun über Land zog, sieht die Situation nicht besser aus. Es schaut nur kaum jemand mehr hin.

Denn das Tempo, in dem sich die Welt, in der wir leben, verändert, wird immer rasanter. Kommunikationsformen und Technik, die unser Leben bestimmen, wechseln im Sauseschritt. An der Börse werden in Windeseile aus dem Nichts Vermögen gemacht – und ebenso schnell wieder vernichtet. Wir leben mit Fast Food, Speed Dating und Hochgeschwindigkeitszügen. Im selben Tempo werden schlimme Ereignisse von noch schlimmeren abgelöst. Doch auf große Erregung folgt allzu oft intensives Vergessen. Katastrophen kommen, beherrschen die Szenerie und verschwinden von der Bildfläche. Bei solch einer Schlagzahl kann es einen schon zur Verzweiflung treiben, wenn sechs Tage lang nichts recht vorangeht in Tacloban. Wir sind einen derartigen Stillstand einfach nicht gewohnt.

Ein Ort des Infrastruktur-Chaos

Auf den Philippinen ist vieles anders. Der Sturm, der weltweit unter dem Namen Haiyan Karriere gemacht hat, heißt hier Yolanda. Und auch ganz ohne Naturkatastrophen ist es nicht immer ganz einfach, von einer der mehr als 7000 Inseln auf die andere zu gelangen. Die Philippinen sind ein Ort der Entschleunigung. Das ist positiv ausgedrückt. Es ließe sich auch sagen, dass sie ein Ort des Infrastrukturchaos sind, selbst in normalen Zeiten. Die Fähren sind meistens alt, klapperig und überfüllt. Für viele Inselflughäfen wäre Luftlandeplatz die bessere Bezeichnung. In der Provinzhauptstadt Tacloban ist die einzige Piste um mehr als einen Kilometer kürzer als in Stuttgart. Logistische Probleme sind da von Anfang an programmiert.

Wer helfen will, der braucht Geduld und einen langen Atem – nicht nur bei der aktuellen Katastrophe. Nach dem Weihnachtstsunami im Jahr 2004 haben sich zahlreiche internationale Organisationen zusammengesetzt und beratschlagt, wie Hilfe noch effektiver gestaltet werden kann. Viele der dabei entwickelten Ideen haben seitdem schon Früchte getragen, auch auf den Philippinen. An vielen Unzulänglichkeiten gilt es weiterzuarbeiten – erst recht von den Verantwortlichen in einem Land, das Jahr für Jahr von Wirbelstürmen heimgesucht wird und sich daher umso intensiver mit Vorbeugung und Nachsorge auseinandersetzen sollte. Doch auch wenn es dabei erhebliche Defizite gibt, bleibt der übrigen Welt nichts anderes übrig, als so großherzig wie möglich Hilfe anzubieten – wenn möglich über den Tag hinaus und nicht nur abhängig von der Zahl der Opfer.