Die deutsche Wirtschaft floriert. Die Politik muss darauf reagieren, findet StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs.

Chefredaktion: Joachim Dorfs (jd)

Stuttgart - Wer in diesen Tagen des Rück- und Ausblicks auf die Wirtschaft in Deutschland blickt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es purzeln die Rekorde: höchste Steuereinnahmen, satter Haushaltsüberschuss, stärkstes Wirtschaftswachstum, höchste Exportwerte. Und das Gute: dieses Jahr wird alles noch größer, schöner, besser.

 

Die jüngsten Erfolgsmeldungen kommen vom Arbeitsmarkt. 2017 wurde mit 44 Millionen Erwerbstätigen die höchste Beschäftigung seit der Wiedervereinigung gemessen; entsprechend sank die Zahl der Arbeitslosen um weitere 160 000. Das ist selbst verglichen mit schon hohen Erwartungen vor einem Jahr außergewöhnlich – seinerzeit war trotz der steigenden Zahlen von Asylbewerbern mit gleichbleibenden Arbeitslosenzahlen gerechnet worden.

Für dieses und nächstes Jahr gehen Experten von einer weiteren Steigerung der Beschäftigung zwischen 500 000 und einer Million Personen aus. Das ist keine zu gewagte Prognose. Mehr als eine Million Stellen sind unbesetzt und der seit acht Jahren anhaltende Aufschwung soll sich mit einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts auf 2,5 Prozent pro Jahr beschleunigen – Deutschland Wirtschaftswunderland.

Selbst gute Nachrichten haben ihre Schattenseiten

Wie üblich haben selbst solche glänzenden Zahlen ihre Schattenseiten. Zunächst einmal wird es für die Unternehmen immer schwieriger, Fachpersonal zu finden. In Umfragen geben mehr als die Hälfte der Firmen an, dass der Fachkräftemangel ihre Entwicklung bremst. Zudem fürchten Konjunkturforscher bereits eine Überhitzung der Wirtschaft, weil das Sozialprodukt seit Jahren über dem eigentlichen Potenzial wachse. Welche Folgen das hat, sieht etwa jeder, der derzeit versucht, einen Handwerker zu bekommen und sich über lange Wartezeiten und stark steigende Preise ärgert.

Absehbar ist in jedem Fall, dass in den anstehenden Tarifrunden die Zeichen für die Arbeitnehmer günstig stehen. Im vergangenen Jahr nahmen Tariflöhne und -gehälter um etwas mehr als zwei Prozent zu, was den Arbeitnehmern angesichts niedriger Teuerungsraten ein ordentliches Reallohnplus bescherte. Dieses und nächstes Jahr dürften die Abschlüsse höher werden: die IG Metall geht in die aktuelle Tarifrunde mit einer Forderung von sechs Prozent.

Absehbar erforderlich, wenn auch politisch auf Grund interner Diskrepanzen in der Union nur begrenzt konsensfähig ist auch, dass Deutschland endlich ein Einwanderungsgesetz braucht, das abseits von Asylfragen kluge Köpfe aus aller Welt hierhin lotst – zum Nutzen der Einwanderer und zum Nutzen der bereits hier Lebenden.

Muss der Staat nicht umsteuern – und die Wirtschaft bremsen?

Nicht ganz so eindeutig ist indes, welche Folgen der Wirtschaftsboom sonst auf die Politik einer möglichen neuen Bundesregierung haben sollte. Zwar sind alle Parteien mit großen Versprechungen in den Wahlkampf gezogen: Steuersenkungen, Investitionen in Infrastruktur, Sozialausgabenerhöhungen, um nur einige zu nennen.

Die Frage ist nur: Befördert der Staat mit einer solchen Politik nicht den Boom, mit dem Risiko einer noch härteren Landung danach? Müsste er nicht im Sinne einer möglichst gleichmäßigen Konjunkturentwicklung die Wirtschaft zwar in der Rezession ankurbeln, im Boom aber bremsen? Wären also Steuererhöhungen, Senkungen der staatlichen Investitionen und stattdessen Schuldentilgung in dieser Zeit nicht die richtige Politik? Diese Fragen sind umso berechtigter, als die EZB ihre offensive Geldpolitik auf absehbare Zeit beibehalten wird, also nicht bremsend eingreift.

Das ist eine Denksportaufgabe für die Sondierer, die nun die Köpfe zusammenstecken, um eine Regierung zu bilden. Weder Christ- noch Sozialdemokraten haben Kraft und Willen, umzusteuern; zu verlockend ist die gute Tat, finanziert aus prall gefüllten Taschen. Doch der Regierung in spe täte Zurückhaltung gut: die größten Fehler werden in guten Zeiten begangen.