Das von der Diktatur befreite Volk muss immer wieder neue Rückschläge einstecken, findet StZ-Redakteur Thomas Thieme.
Tripolis - Unter Missachtung des Völkerrechtes hält Libyen vier Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofs wegen des Verdachts gefangen, dem inhaftierten Diktatorensohn Saif al-Islam geholfen zu haben. Es ist ein weiterer Beleg für die schwierige Suche des postrevolutionären Landes nach einem Neuanfang. Immer wieder erschüttern blutige Stammesfehden die brüchige Ruhe. Nach wie vor ist es der schwachen Übergangsregierung nicht gelungen, die Revolutionsmilizen zu entwaffnen oder in die regulären Streitkräfte zu integrieren. In der Vorwoche hielten schwer bewaffnete Milizen den Flughafen von Tripolis mehrere Stunden lang besetzt.
In zwei Wochen soll eine Verfassungsversammlung gewählt werden. Ob der Termin eingehalten werden kann, ist fraglich. Dabei bräuchte das Land, das so reich ist an Erdöl und Gas, aber so arm an demokratischer Tradition, nichts dringender als ein funktionierendes Justiz- und Verwaltungswesen sowie eine starke, demokratisch legitimierte Führung. Das alles ist viel mehr, als in neun Monaten nach dem Sturz Gaddafis geschafft werden kann. Doch der richtige Weg ist eingeschlagen. Immerhin hält der Frieden weitgehend und die schlimmsten Befürchtungen, die mit dem Aufstand verbunden waren, sind nicht eingetreten: Der Wüstenstaat ist weder im Chaos versunken noch auseinandergebrochen.