Die StZ/SWR-Umfrage zur politischen Stimmung in Baden-Württemberg zeigt, dass die Wahl 2016 ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden wird. Die einen haben einen starken Chef, die anderen eine starke Partei, kommentiert der StZ-Redakteur Reiner Ruf.

Stuttgart - Politiker sind ein zahlenhungriges Volk. Das verbindet sie mit den Journalisten, die auf die regelmäßig dargebotenen Prozenthäppchen nach außen hin souveräner reagieren, im Stillen aber nicht minder danach gieren. Jetzt gibt es neues Zahlenfutter, und das hat es in sich. Beide Lager, hier Grün-Rot, dort die CDU, liegen nahezu gleichauf. Der Wunsch nach einem neuerlichen Machtwechsel ist ähnlich ausgeprägt wie die Neigung zur Vertragsverlängerung für Winfried Kretschmann und die Seinen. Dem Land steht ein spannender Wahlkampf bevor. Das ist gut für die Demokratie, die nur dann stabil ist, wenn sie die Menschen anfasst. Sie darf diese nicht zu der Haltung verleiten: „Die Mutti und der Siggi in Berlin werden es schon richten, ich geh‘ dann mal ins Kino.“

 

Dem seinem Höhepunkt entgegeneilenden Machtkampf in der CDU verleiht die Umfrage neuen Schub. Es verhält sich ja nicht so, dass die CDU-Basis trunken wäre vor Glück über das in der Mitgliederbefragung offerierte Personal. Den einen gilt der Landesvorsitzende Thomas Strobl als wenig vermittelbar, zu aufgesetzt wirke sein Auftreten. Die anderen vermögen in Guido Wolf nur den Parlamentspräsidenten zu sehen, dessen politisch-operativer Erfahrungsschatz sich auf sein früheres Wirken als Landrat beschränke.

Der Spitzenkandidat soll der CDU nicht schaden

Inhaltliche Debatten brachte der Wettstreit um die Spitzenkandidatur bisher indes keine hervor. Für die CDU geht es vor allem um die Frage, wer den populären Ministerpräsidenten Kretschmann so weit neutralisieren kann, dass die im Land populärste Partei in den Wahlkabinen keinen Schaden nimmt. Anders formuliert: der CDU-Spitzenkandidat soll der CDU zumindest nicht schaden. Selten waren die Mindestanforderungen so bescheiden. Hätte der in einsamen Beliebtheitshöhen schwebende Kretschmann das richtige – in Baden-Württemberg bedeutet dies machtpolitisch noch immer: schwarze – Parteibuch, der CDU wäre die absolute Mehrheit kaum zu nehmen. Allerdings hätte es ein so wenig anpassungswilliger Kopf wie Kretschmann in der CDU schwerlich an die Spitze geschafft.

So gesehen ist die Entscheidung, den Spitzenkandidaten mittels eines Basisvotums zu bestellen, aus Verlegenheit gefallen. Keiner der Aspiranten verfügt über die Autorität, seinen Anspruch aus eigener Kraft durchzusetzen. Anders als vor zehn Jahren in der Auseinandersetzung zwischen Günther Oettinger und Annette Schavan ist die Lagerbildung aber nicht so ausgeprägt, dass die Partei Schaden nehmen muss. Die Erfahrungen mit Stefan Mappus haben in der CDU die Sehnsüchte nach dem starken Mann spürbar gedämpft. Und eine starke Frau wie Julia Klöckner in Rheinland-Pfalz ließen die hiesigen Christdemokraten nicht nach oben kommen.

Sind die Machtstrukturen der CDU zu erschüttern?

Die nächste Landtagswahl wird zeigen, ob es sich beim Machtwechsel 2011 um einen Betriebsunfall handelte oder ob die Machtstrukturen der CDU im Land dauerhaft erschüttert werden. Letzteres ist Grün-Rot bisher nicht gelungen. 60 Prozent Zufriedenheit mit der Regierung sind zwar respektabel – es war ja keineswegs von vornherein ausgemacht, dass sich Grüne und SPD einigermaßen stabil in der Wählergunst würden halten können –, aber richtig ernst genommen wird Grün-Rot wohl erst, wenn die Wiederwahl gelingt. Fünf Jahre mag überwintern, wer in Verwaltung und Verbänden immer schon auf die CDU fokussiert war. Doch bei zehn Jahren Stillstand gerät die Karriere in Gefahr. Wenn sich diese Menschen von der CDU abwenden, bröckelt die Basis der Macht.

Dies wird die CDU mit aller Kraft zu verhindern suchen. Das Regierungslager setzt darauf, in der Polarisierung des Wahlkampfs mit der Parole „Kretschmann muss Ministerpräsident bleiben“ die nötigen Prozentpunkte zuzulegen. Ob das gelingen kann? Wir warten auf neue, frische Zahlen.