Mit den ewigen Machtstreitereien gefährdet die Linke das Projekt der gesamtdeutschen Partei, kommentiert StZ-Redakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Es ist immer leicht, auf jemandem herumzutrampeln, der schon am Boden liegt. Entsprechend wortgewaltig machen sich die Spötter über die Linkspartei her. Beklagen kann sie sich darüber nicht, wird die Kritik doch aus ihren eigenen Reihen gespeist. Viele Funktionäre eint offenbar nicht mehr die politische Vision von einer gerechteren Welt, sondern nur noch die Lust an der Selbstzerstörung.

 

Kurz vor dem Parteitag ist es für die Linke höchste Zeit aufzuwachen und festzustellen, dass der bisherige Weg, wenn nicht zur formalen Spaltung, so doch zumindest in die Agonie führt. Im Westen wird sie, wenn es so weitergeht, in fast keinem Parlament mehr präsent sein. Und allein als ostdeutsche Regionalpartei würde sie marginalisiert. So steht die Zukunft der Linken als gesamtdeutsches Projekt auf dem Spiel.

Die Selbstüberschätzung der alten Herren

Verantwortlich für die Misere ist vordergründig die Selbstüberschätzung der Politelefanten: Oskar Lafontaine wollte die Machtübernahme nach seinem Drehbuch gestalten. Viel zu spät hat er erkannt, dass viele nicht als Statisten daneben stehen mögen. Zudem fand er in Dietmar Bartsch einen Widersacher, der im Osten als Parteimanager geschätzt wird und einen Antrieb hat: Lafontaine zu verhindern. Während der verbliebene Co-Vorsitzende Klaus Ernst alle Autorität verloren hat, ist Fraktionschef Gregor Gysi – vormals letzter Turm in der Schlacht – damit überfordert, den Streit in geordnete Bahnen zu lenken.

Lafontaine und Gysi haben sich um die Linkspartei verdient gemacht – ohne sie wäre die Fusion von PDS und WASG kaum gelungen. Doch haben beide nicht realisiert, dass die Wähler einen patriarchalischen Politikstil mittlerweile ablehnen. Der Erfolg von Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen zeigt die Sehnsucht der Menschen, dass man ihnen auf Augenhöhe begegnen möge. Auch die Linke hat kluge, eloquente und teamorientierte Frauen zu bieten – wann, wenn nicht jetzt, will sie den Trumpf ausspielen? Das Duo Katja Kipping und Katharina Schwabedissen, das sich selbst auf den Schild gehoben hat, muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Doch noch weniger eignen sich die Lafontaine-Partnerin Sahra Wagenknecht und eben Dietmar Bartsch als Versöhner. Die Polarisierung würde fortgesetzt.

Gefordert ist eine mutige Neuausrichtung

Verantwortlich für das Debakel ist auch das Proporzdenken nach dem Muster Mann – Frau, Ost – West, Reformer – Traditionalisten und so weiter. Anders ließ sich die Linke wohl nicht etablieren. Doch es führt zu einem sorgsam austarierten Personaltableau, in dem kein Lager das andere zu dominieren vermag. In der gegenseitigen Blockade verharrend, kann sich diese Partei nun nicht mehr weiterentwickeln.

Von den Piraten bereits überholt

So kommt die Linke um eine mutige Neuausrichtung nicht herum: Will sie kompromissbereit mitregieren oder ihr Profil in der Opposition schärfen? Will sie neue Wählerschichten erschließen oder tatenlos zusehen, wie die ohnehin diffuse Basis zerbröselt? Auch das in Erfurt beschlossene Grundsatzprogramm bringt keine Klarheit, sondern dient als ein alle selig machendes Konsenspapier höchstens dem sozialistischen Wohlgefühl. Jetzt ist ein Selbstreinigungsprozess nötig – selbst um den Preis, dass einige Randgruppierungen nicht mehr mitmachen wollen.

Es birgt eine gewisse Komik, dass die vergleichsweise substanzlos agierenden Piraten mit Zielen wie dem bedingungslosen Grundeinkommen der Linkspartei den Rang ablaufen. Dabei treffen deren Themen weiterhin den Nerv: Europas Finanzkrise, der riesige Niedriglohnbereich, die wachsende Unterschicht oder die Verelendung vieler Kommunen bleiben drängende Probleme. Doch kann die Linke ihre Anliegen nicht glaubwürdig vertreten, wenn sie sich unausgesetzt in Personalgeschacher ergeht. So gesehen könnte der Parteitag Anfang Juni die letzte Chance sein, dem Schicksal einer Splitterpartei zu entrinnen.