Die Kritik des Bundespräsidenten an der Linkspartei ist vielleicht nicht bequem und nicht mehrheitsfähig. Aber sie ist gerade im Fall Joachim Gauck absolut legitim, kommentiert der StZ-Redakteur Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Aus ihrer wechselseitigen Abneigung haben Joachim Gauck und die Linkspartei, wie sich die ehemalige PDS und noch ehemaligere SED heute nennt, nie einen Hehl gemacht. Als Verwalter des papierenen Erbes der DDR-Staatssicherheit war Gauck nach dem Umsturz in Ostdeutschland für die Altgenossen der natürliche Gegner, wenn nicht sogar Feind. Die Gauck-Behörde half mit, vielen offiziellen und inoffiziellen Handlangern des alten Regimes den bruchlosen Übergang in die neue Zeit zu verwehren. Als Gauck 2010 und 2012 zur Wahl als Staatsoberhaupt stand, verweigerte die Linkspartei konsequent ihre Zustimmung – und verfolgt seither das Wirken des Präsidenten in fast durchgehend hyperkritischer Tonlage.

 

Ist Gauck notorisch geschichtsversessen, wenn er selbst im Schloss Bellevue nicht aufhört, an das SED-Unrecht und die Verantwortung der SED-Nachfolger zu erinnern – und dabei bis an die Grenzen seines stark repräsentativen Amtes geht, wenn er öffentlich mit der möglichen Wahl  eines ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei hadert? Eine aktuelle Umfrage weist aus, dass sich jeder zweite Deutsche hinreichend informiert fühlt über die DDR-Geschichte und deshalb an weiterer Vertiefung des Themas kein Interesse hat. Muss man Gauck also im Gegenteil dankbar sein, dass er sich auflehnt gegen die Geschichtsvergessenen – und gegen jene Partei, die so ungern an ihre schmutzige Vergangenheit erinnert wird?

Nicht der Mehrheit nach dem Munde reden

Diese Debatte weist 25 Jahre nach dem Mauerfall ein Schlaglicht auf den Stand der DDR-Aufarbeitung – und die Tatsache, wie stark ihre Bewertung biografisch bedingt ist. „Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren“ – in diesen Satz hat Gauck seine Zweifel an der Demokratietauglichkeit der Linkspartei und der Wählbarkeit ihres thüringischen Kandidaten Bodo Ramelow gekleidet. Die Einschränkung stimmt, geht aber nicht weit genug.

Die Westdeutschen wie die Jüngeren in Ostdeutschland haben ein weit entspannteres Verhältnis zu diesen Linken. Sie sehen vor allem, dass die Partei dort, wo sie bereits (mit-)regiert hat, kein kommunistisches Rollback probiert, sondern sozialdemokratisch-pragmatisch agiert. Gauck dürfte nicht einmal für die Mehrheit der älteren Ostdeutschen sprechen, sondern vor allem für jene, die unter der Knute der SED persönlich litten. Genauso gilt aber auch: für sie das Wort zu erheben hat Gauck als ehemaliger Pastor und Bürgerrechtler-Unterstützer die notwendige persönliche Autorität. Und er darf sehr wohl die Autorität seines Amtes mit in die Waagschale werfen. Ein Bundespräsident ist nicht gewählt, um der Mehrheit nach dem Munde zu reden; gerade er ist aufgerufen, denen eine Stimme zu geben, die im öffentlichen Diskurs zu oft ignoriert werden – und dazu gehören immer wieder die SED-Opfer.

„Unrechtsstaat“ – ein Kampfbegriff?

Wie sehr die persönliche Warte die historische Deutung beeinflusst, hat bereits die Debatte über die DDR als „Unrechtsstaat“ gezeigt, an der Gauck ebenfalls beteiligt war. Was ihm und vielen anderen die schlichte Bezeichnung für einen Staat ist, in dem das Recht nur Verfügungsmasse in den Händen einer diktatorisch agierenden Partei ist, wirkt auf viele andere – sogar bis hinein in die frühere Bürgerrechtlerszene – wie ein Kampfbegriff, mit dem die gesamte Lebensleistung ehemaliger DDR-Bürger herabgewürdigt werden soll.

Auch 25 Jahre nach der Wende darf diese Diskussion nicht beendet werden. Die heutige Linkspartei hat sich einst entschlossen, in die Erbfolge der SED einzutreten. Mithin wird sie, wenn sie weiterhin so verdruckst mit ihrer Erblast umgeht, die kritischen Fragen nicht loswerden. Und sie wird weiterhin einen Bundespräsidenten aushalten müssen, der sich in dieser Debatte zum Glück nicht mundtot machen lässt.