Die StZ-Umfrage zeigt, dass Sebastian Turner sein bürgerliches Wählerpotenzial nicht ausschöpfen kann. Dies bringt den Grünen Fritz Kuhn in die Favoritenposition, meint der StZ-Lokalchef Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Manche Botschaft ist so schlecht, dass selbst ein ausgefuchster Werbeprofi Mühe hat, eine gute Nachricht daraus zu formulieren. Nur 28 Prozent der Stuttgarter würden ihr Kreuz hinter den Namen von Sebastian Turner setzen, wenn am kommenden Sonntag OB-Wahl wäre. Das ist so kurz vor der wirklichen Wahl am 7. Oktober eine faustdicke Überraschung – wenn man es politisch neutral ausdrücken möchte. Für die Strategen von CDU, FDP und Freien Wählern – und ganz besonders für ihren Kandidaten Turner – ist das Zwischenzeugnis allerdings viel mehr: Es ist die Warnung vor einer möglicherweise heraufziehenden Zeitenwende im seit Jahrzehnten unionsgeführten Stuttgarter Rathaus.

 

Zwar handelt es sich bei den vorliegenden Zahlen nur um eine Umfrage, die aktuelle Wahlneigungen misst und nicht tatsächliches Wahlverhalten. Doch die Befragung ist repräsentativ – und sie deckt auf, was Beobachter des Wahlkampfes bisher nur als vages Gefühl formulieren konnten: Sebastian Turner erreicht die bürgerlichen Wähler seiner Unterstützerparteien nur bedingt und die Anhänger der SPD und der Grünen praktisch gar nicht. Das ist einerseits erstaunlich, immerhin bietet sich der bundesweit erfolgreiche Unternehmer als Gegenmodell der Parteikarrieristen an.

Turner hat kein zündendes Thema gefunden

Andererseits ist er aber bei den Stuttgartern noch nicht angekommen – weder in den Köpfen noch in den Herzen. Er hat kein zündendes Thema gefunden, im persönlichen Umgang wirkt er bisweilen sogar unbeholfen – obwohl es so scheint, als wolle er im Wahlkampf jedem Stuttgarter mindestens einmal die Hand schütteln. Obendrein hat Turner, als einziger Kandidat bisher, Fehler gemacht – und sie im Nachhinein noch nicht einmal eingesehen. Das gilt besonders für das Gratisplakat am Bahnhof, das ihm ein Unternehmer spendiert hat, der mit der Stadt in Verhandlungen steht. In Sachen Unabhängigkeit ist seine Glaubwürdigkeit seither angekratzt.

Von Turners Schwäche profitiert vor allem Fritz Kuhn. Nur so sind die 31 Prozent zu erklären, die der Grüne laut der Umfrage auf sich vereinen könnte. Denn im Wahlkampf des Politprofis fehlen die Höhepunkte ebenfalls – sowohl die geistigen als auch die emotionalen. Sein Wahlspruch „Mir geht’s um Stuttgart“ steht sinnbildlich für die gestelzte Langeweile, die der Routinier verbreitet.

Der Wahlkampf ist zum Duell geworden

Trotzdem – oder, wenn man Winfried Kretschmann betrachtet, gerade deswegen – scheint es Kuhn zu gelingen, den Großteil seiner Klientel zu erreichen und sogar noch ein wenig im Becken der anderen zu fischen. Dass er als kompetentester und vertrauenswürdigster Kandidat gilt, dürfte auch seinem Umgang mit Stuttgart 21 geschuldet sein. Wie der Ministerpräsident lässt Kuhn keinen Zweifel daran, dass er das Ergebnis der Volksabstimmung, das übrigens in der Umfrage ganz nebenbei bestätigt wurde, achtet. Das macht ihn auch für Christ- und Sozialdemokraten wählbar – und daher zum Favoriten im Rennen um das Amt des Oberbürgermeisters, das ein Duell geworden ist.

Achtungserfolge könnten Bettina Wilhelm und Hannes Rockenbauch erzielen. Wilhelm ist gleich mit mehreren Bürden gestartet: erstens zu spät, zweitens mit einem kaum messbaren Bekanntheitsgrad. Doch mit ihrer sympathischen Art und dem Hinweis auf ihre Verwaltungserfahrung hat sie es zumindest in der Umfrage geschafft, die Ergebnisse ihrer Unterstützerpartei SPD aus den vergangenen Wahlen zu übertreffen. Und Rockenbauch? Er ist für die meisten Stuttgarter wegen seiner radikalen Forderungen zwar weiterhin unwählbar, der Obergegner von Stuttgart 21 hat aber Frische gebracht und es geschafft, seinen Furor in einen Mantel von Charme zu kleiden, der ihm gut passt. Insofern hat Rockenbauch in diesem Wahlkampf gewonnen – auch wenn klar ist, dass er es nicht sein wird, der OB Schuster beerbt.