Annette Schavan hat nach Einschätzung der Uni Düsseldorf gezielt abgeschrieben. Doch Täuschung ist nicht gleich Täuschung, meint der Leiter des StZ-Wissenschaftsressorts, Alexander Mäder.

Stuttgart - Eigentlich müsste sich die Frage leicht klären lassen: Werden Annette Schavan viele Plagiate vorgeworfen oder wenige? Doch gerade in diesem Punkt widersprechen sich die Aussagen. Schavans Anwälte sprechen von einer „geringfügigen Zahl“, die zuständige Fakultät an der Universität Düsseldorf spricht von einer „Häufung“. Weil ein Gerichtsverfahren ansteht, wollen beide Seiten nicht ausführlicher werden. Doch der Konflikt lässt sich auflösen, denn es geht um zwei Fragen: Schavan argumentiert, eventuelle Plagiate fielen in ihrer Doktorarbeit nicht ins Gewicht, die Fakultät sieht hingegen genug für einen Täuschungsversuch.

 

Bei einer Klausur ist die Sache klar: Wer beim Abschreiben erwischt wird, braucht seine Arbeit nicht mehr abzugeben. Sie ist ungültig. Die Fakultät argumentiert nun, dass Schavan in ihrer Doktorarbeit so oft abgeschrieben hat, dass es kein Versehen und keine Schludrigkeit mehr sein kann. 13 der 15 Ratsmitglieder stimmten dafür, das als Täuschungsversuch zu werten. Die Frage, ob Schavan auf den übrigen Seiten ihrer Dissertation gute Forschungsarbeit dokumentiert hat, scheint in diesem Verfahren keine wesentliche Rolle gespielt zu haben.

Täuschung macht eine Arbeit nicht zwingend wertlos

Was aus dem Täuschungsversuch folgt, ist Ermessenssache: Rechtfertigt er es, noch nach mehr als 30 Jahren den Doktorgrad zu entziehen? Die Fakultät gibt zudem „selbstkritisch“ zu, dass nicht alle ihre Doktoranden gut betreut worden seien. Hätte Schavans Doktorvater sie vor dem späten Unglück bewahren können, wenn er sie besser angeleitet oder selber ein Plagiat entdeckt hätte? Wie es in Ermessensfragen so ist: Die Antwort hätte auch anders ausfallen können. Und man kann verstehen, dass die Fakultät lieber zu viel Härte zeigt, als zu nachsichtig zu sein. Damit muss die Bundesforschungsministerin vorerst leben und prüfen, ob sie ihr Amt nun noch mit der nötigen Autorität ausüben kann.

Doch die Ausgangsfrage hat sich damit nicht erledigt. Beim Internetportal Schavanplag sind ein halbes Dutzend Stellen nachzulesen, auf denen Schavan – wie es aussieht – über eine halbe oder ganze Seite abschreibt. Selbst wenn man ihr Absicht unterstellt, ist noch nicht gesagt, dass diese Täuschung die Arbeit wertlos macht.

Schavan hat wohl eine eigenständige These entwickelt

Auf der einen Seite stehen die Standards der Wissenschaft. Sie sind essenziell, denn das System beruht auf Vertrauen. So kritisch sich Wissenschaftler mit den Arbeiten ihrer Kollegen befassen – sie können nicht jedes Experiment wiederholen und die ganze Literatur nachlesen. Sie verlassen sich darauf, dass alle transparent arbeiten. Wenn abgeschrieben wird, kommt zwar kein Patient zu Schaden wie etwa bei Fälschungen in medizinischen Studien, und kein Professor verdient weniger Geld, weil seine geistigen Leistungen in einer wenig beachteten Dissertation unter fremden Namen verwertet werden. Doch der Doktorgrad wird nur für eine echte wissenschaftliche Leistung vergeben, und weil die Dissertation die erste Leistung dieser Art ist, muss ein Doktorand damit auch nachweisen, dass er die Standards einhält.

Auf der anderen Seite steht die Frage des wissenschaftlichen Ertrags. Wenn es stimmen sollte, was einige Erziehungswissenschaftler in den vergangenen Monaten gesagt haben, dann hat Schavan in ihrer Doktorarbeit eine eigenständige These entwickelt und begründet. Dann könnte man sich fragen, warum sie überhaupt abgeschrieben hat. Eine Möglichkeit liegt auf der Hand: Sie wollte mit den Plagiaten größere Belesenheit vortäuschen. Diese Art der Täuschung wäre aber weniger schwer als der Versuch, sich einen Doktorgrad durch geklaute Argumente und Theorien zu erschleichen. Auch wenn die Richter der Fakultät aus formalen Gründen Recht geben sollten, muss die Erziehungswissenschaft diese Frage für sich klären. Eine übertrieben harte Bewertung von Doktorarbeiten würde dem Fach schaden.