Einst wurde über Affären von Politikern nur getuschelt. Heute verschwimmen die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem in der Politik, findet unser Berlin-Korrespondent Wilfried Folz.

Berlin - Willy Brandt und Franz Josef Strauß zählen zweifellos zu den bedeutenden Politikern in der Geschichte Deutschlands. Hätte es zu ihren Lebzeiten schon Handys mit Kamera und soziale Netzwerke gegeben – wer weiß, ob die beiden Männer lange in ihren Ämtern geblieben wären. Über deren Affären wurde damals nur getuschelt oder in Andeutungen berichtet. Die Abgründe eines amourösen Lebens spürte erst Bill Clinton. Heute droht die Trennlinie von öffentlich und privat durch die technischen Möglichkeiten vollends zu verschwinden. Es brechen Dämme, sekundenschnell weiß das Publikum, wer in welcher Begleitung am Abend im Restaurant war.

 

Das Problem ist nur: Manche Politiker kehren ihr Privatleben freiwillig nach außen. Sie inszenieren sich als Mensch, sie suchen die Nähe zum Volk, sie wittern die Chance auf ein Stück Publicity. Und sie gehen damit ein hohes Risiko ein, weil sie sich vor den Karren des Boulevards spannen lassen. Andere versuchen ihr Privatleben vor fremden Augen zu schützen. Die frühere Familienministerien Kristina Schröder hat bei ihrer Hochzeit kurzerhand die Kirche gewechselt, um die Paparazzi irrezuführen. Das kann man noch für kurios halten. Helmut Kohl war als Kanzler und innerparteilich umstrittener CDU-Chef mit einem größeren Problem konfrontiert: 1989 verheimlichte er eine Prostata-Erkrankung und durchlitt einen Parteitag der Anfeindungen. In seinen Erinnerungen schreibt er: „Für mich kam das einer Katastrophe gleich. In der damaligen Situation hätte mir niemand abgenommen, dass ich wirklich krank war.“ Man hätte ihm unterstellt, dass er sich vor der Auseinandersetzung habe drücken wollen.

Politiker haben Angst davor, Schwäche zu zeigen

Politiker scheuen die Schwäche, sie scheuen das Mitleid, es ist gefährlich. Mitleid heißt, hier ist einer angeschlagen, er muss sich dafür sogar rechtfertigen. Auch dem ehemaligen Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck erging es so. Er hatte einen Schlaganfall erlitten, ließ aber mitteilen, er habe Kreislaufprobleme. Eine Woche ging das gut, dann kam die Wahrheit ans Licht. Aber war es nicht sein gutes Recht, seine Krankheit für sich zu behalten? Ja, er hat dieses Recht – bis zu einem gewissen Grad.

Denn was ist, wenn die Krankheit die Kraft zum Regieren raubt? Wenn Alkohol oder Drogen im Spiel sind? Wie privat ist es noch, wenn Politiker ein Suchtproblem haben, so wie etwa der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann, zumal sie unter Umständen Einfluss und Macht besitzen und in Krisenzeiten richtungsweisende Entscheidungen treffen müssen? Wie steht es um das Recht auf Privatsphäre, wenn sexuelle Neigungen staatsanwaltschaftliche Ermittlungen auslösen wie im Fall des Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy? Dann wird das Private politisch. Und die Öffentlichkeit hat – im Einzelfall – ein Recht darauf, das zu wissen.

In den USA werden Politiker inquisitorisch durchleuchtet

Bedenklich wird es, wenn es so weit geht wie in den USA. Dort ist das Privatleben eines Politikers zentrales Thema im Wahlkampf und Gradmesser, ob ein Politiker überhaupt die Befähigung für ein Amt hat. Die Durchleuchtung von Persönlichkeiten erfährt inquisitorische Züge. Sie überhöht die Schwächen, die jeder Mensch hat. Die Privatisierung darf nie so weit gehen, dass der Politiker nicht mehr als politischer Akteur wahrgenommen wird.

Politik wird von Menschen gemacht, und Menschen sind keine Roboter. Gleichwohl müssen Politiker moralisch höheren Ansprüchen genügen als „normale“ Menschen – gewissermaßen ein Berufsrisiko. Zum Ausgleich winken Privilegien und eine Rolle in der Öffentlichkeit. Man kann sich als Politiker aber auch die Losung von Wolfgang Schäuble zu eigen machen: Vertrauen gewinnt man durch Seriosität. Schäuble hat sein Privatleben abgeschottet – es hat ihm nicht geschadet.