Wir schreiben das Schuljahr eins nach der Machtübernahme von Grün-Rot - doch nichts hat sich geändert. Es wird Zeit, den Kurs festzulegen.

Stuttgart - Wir schreiben das Schuljahr eins nach der Machtübernahme von Grün-Rot in Baden-Württemberg - und im Bildungswesen ist alles beim Alten. Es gibt noch ein Gymnasium, das Schulsystem ist nicht über den Haufen geworfen worden, und kein Kind wird zur Ganztagsschule zwangsverpflichtet. Lediglich die bis jetzt verpflichtende Grundschulempfehlung wird ersatzlos gestrichen.

 

Grundstürzende Neuerungen von heute auf morgen waren weder zu erwarten noch gewollt. Sie wären auch nicht sinnvoll. Die neue Landesregierung tut gut daran, im Umgang mit Lehrern, Eltern, Schülern und auch Bürgermeistern, die für die Ausstattung und die Schulhäuser aufkommen müssen, Fingerspitzengefühl zu zeigen. Das Bildungswesen ist ständig in Bewegung, und manche Reform der vergangenen Jahre hat sich als wenig durchdacht erwiesen. Das macht alle Beteiligten vorsichtig.

Was wird umgesetzt?

Doch Grüne und SPD haben gerade die Bildung zu ihrem zentralen Thema erkoren, sie haben völlig andere Ansätze versprochen. Das weckt, je nach Haltung, hohe Erwartungen oder große Befürchtungen. Um klare Aussagen aber wird sich die Regierung auf Dauer nicht drücken können. Immerhin geht es keineswegs um Ideen, die erst seit Kurzem auf dem Markt sind. Die Thesen zu mehr individueller Förderung, zu längerem gemeinsamem Lernen, zur Überwindung des dreigliedrigen Schulsystems vertreten die Bildungspolitiker der aktuellen Regierungsparteien seit Jahren. Angesichts dessen präsentiert sich das Kultusministerium jetzt auffallend planlos.

Jetzt geht es nicht mehr lediglich um die Vision vom neuen großen Ganzen, jetzt geht es um Details, um Finanzierbarkeit, Organisation und Umsetzung. Die Regierung wirkt, als sei sie im Praxisschock. Sie will ihre Reformen niemandem überstülpen und alle Beteiligten mitnehmen. Doch es zeichnet sich schon ab, dass nicht alles, was von unten wächst, auch zur Reife kommen wird. Die Idee, dass jede Gemeinde, die will und ein vernünftiges Konzept vorlegt, beispielsweise die neue Gemeinschaftsschule einführen kann, wird sich so schnell nicht umsetzen lassen. Tatsächlich ist die Regierung gut beraten, nur die Pioniere an den Start gehen zu lassen, die für die neue Schulform beispielgebend wirken können. Wenn sich die Gemeinschaftsschule etablieren soll, müssen ihre Prototypen ein Erfolg werden und Lust auf mehr machen.

Große Verunsicherung bei allen Beteiligten

Als falsch wird sich auch die Hoffnung mancher Eltern von Gymnasiasten erweisen, dass überall Alternativen zum achtjährigen allgemeinbildenden Gymnasium eingerichtet werden könnten. G8 und G9 parallel zu führen ist viel zu teuer. Deshalb haben die Grünen dem Vernehmen nach die SPD auf einige wenige Modellversuche eingebremst. Zu Recht. Es ist besser, die Förderung an den Gymnasien zu intensivieren, als die Reform zurückzudrehen.

Es sind alte Weisheiten, dass hehre Oppositionsziele in der Regierung an Grenzen des Machbaren stoßen und dass Reformen Zeit brauchen. Das wird Grün-Rot zugestanden. Allerdings hat es die Koalition bisher versäumt, den Rahmen abzustecken, zu klären, welche Bedingungen etwa Gemeinden erfüllen müssen, wenn sie Gemeinschaftsschulen einrichten wollen. Niemand weiß, wie es mit der von Grünen und SPD stets kritisierten Werkrealschule weitergehen soll. Zur frühen Bildung hört man aus dem Neuen Schloss so wenig wie zur Sprachförderung. Bisher haben die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag nur zu einem geführt: zu großer Verunsicherung bei allen Beteiligten. Durch teilweise unbedachte Äußerungen hat die neue Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (SPD) die Orientierungslosigkeit noch verstärkt.

Alles bleibt bisher beim Alten

Zum Schuljahrsbeginn ist die Wegweisung ausgeblieben. Doch es wird höchste Zeit, dass die Regierung erklärt, wie das Gesamtkonzept für ihr wichtigstes Feld aussieht - und wie es erreicht werden kann.