Ministerpräsident Kretschmann allein reicht nicht. Seine Partei sackt ab, weil sie in der Koalition mit der CDU kein eigenes Thema findet, kommentiert Reiner Ruf.

Stuttgart - Die neuen Zahlen zur politischen Stimmung im Land sind geeignet, Unruhe in das grün-schwarze Regierungslager zu tragen. Die Grünen sehen sich in der Sonntagsfrage erstmals seit der Regierungsübernahme 2011 in der Rolle des Juniorpartners. Der Rückstand auf die CDU ist marginal, bedeutet aber für die selbstgewiss gewordenen Grünen einen Einschnitt. Sie stellen den – weiterhin in einsamen Beliebtheitshöhen schwebenden – Ministerpräsidenten, doch ihr Führungsanspruch gerät ins Rutschen.

 

Das gilt zumindest auf der psychologischen Ebene, an den realen Mehrheitsverhältnissen hat sich ja nichts verändert. Doch wenn die Seele kränkelt, bleibt das nicht ohne Folgen für den Körper. Die Grünen werden sich nun fragen – nicht angstschlotternd, aber besorgt –, ob sie sich an der CDU verschluckt haben. Krokodile fressen Steine, um beim Lauern auf Beute dank des zusätzlichen Gewichts tiefer im Wasser zu liegen. Ist der Stein aber zu groß und zu schwer, droht der Untergang.

Hausgemachte Probleme

Jedenfalls machten es sich die Grünen zu einfach, verwiesen sie nur auf den negativen Bundestrend. Der spielt eine Rolle, einige Probleme sind jedoch hausgemacht, und nicht für alle gibt es eine schnelle Lösung. Eine lautet jedoch: Fehlervermeidung. Die Nebenabsprachen zum Koalitionsvertrag und zuletzt der im Aufschrei der Öffentlichkeit gescheiterte Versuch, den Landtagsabgeordneten wieder eine Staatspension zu sichern, kratzten an der Glaubwürdigkeit der Grünen. Was diese am heftigsten schlaucht, ist jedoch das Fehlen eines Themas, mit dem die Öffentlichkeit die Partei verbindet. Die Digitalisierung, auf die Kretschmann einige Mühe verwendete, zündet nicht. Fahrverbote für Dieselautos sind kein Gewinnerthema, sie gefährden Kretschmanns sorgsam gepflegtes Einvernehmen mit der Autoindustrie.

Was bleibt, ist die Innere Sicherheit, insbesondere der Schutz vor islamistischen Terroristen. Kretschmann hat das Thema – anders als die Wirtschaftspolitik – ganz der CDU überlassen. Auf diese Weise beglückt er seinen Vize Thomas Strobl und sorgt damit indirekt auch für Stabilität in der Koalition. Doch in der grünen Kerngemeinde wächst das Unbehagen über den Kurs, der als Christdemokratisierung der eigenen Partei wahrgenommen wird. Dazu kommt, dass sich aus grüner Sicht die Abschaffung des eigenständigen Integrationsministeriums als Fehler erwies. Flüchtlingspolitik ist unter Grün-Schwarz Abschiebepolitik. Der für Integration zuständige Sozialminister Manfred Lucha von den Grünen erweckt bisher den Eindruck, als betrachte er – den es einst von Oberbayern nach Oberschwaben verschlug – das Thema mit seiner eigenen Integration in die hiesige Landesregierung als erfolgreich abgeschlossen.

Genossen-Brass auf die Grünen

Für die CDU ist mit der Rückgewinnung eines Spitzenplatzes im Parteienwettbewerb noch wenig gewonnen. Abseits der Inneren Sicherheit fehlt es an Profil, auch jubeln die Massen dem Spitzenpersonal keineswegs zu. Was die Übernahme des Ministerpräsidentenamts angeht, entbehrt die CDU einer Machtoption. In dieser Situation richtet sich der Blick auf die dank des Schulz-Effekts wieder etwas zu Kräften gekommene SPD. Deren Abgeordnete berichten, sie könnten kaum mehr den Stuttgarter Schlossplatz überqueren, ohne dass – rein zufällig – ein Christdemokrat ihren Weg kreuze. Ganz fruchtlos bleibt diese Einzelbeatmung nicht, ist doch der Brass der Genossen auf die Grünen groß, denen sie vorwerfen, der CDU durchgehen zu lassen, was sie der SPD zu grün-roten Zeiten niemals zugestanden hätten.

Dies alles wird die entgegen öffentlichen Beteuerungen miese Stimmung in der Koalition nicht verbessern. Doch Macht ist ein starker Kitt. Und das Abfallen der AfD deutet darauf hin, das Grün-Schwarz einer Stabilisierung der politischen Lage zumindest nicht entgegen steht.