Winfried Kretschmann stellt nach hundert Tagen Regierungszeit alle in den Schatten - vor allem die SPD, sagt StZ-Ressortleiter Thomas Breining.

Stuttgart - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist ein politisches Schwergewicht. Das hat man geahnt, aber das lässt sich nun auch in Zahlen ausdrücken. 62 Prozent der Befragten in der Umfrage von Stuttgarter Zeitung und SWR sind mit seiner Art, den Regierungschef zu geben, zufrieden oder sogar sehr zufrieden. Das sind fast zwei Drittel und damit - zum einen - weit mehr, als an den Leistungen der grün-roten Landesregierung insgesamt Gefallen finden. Der Chef ist bei Grün-Rot also der alle überragende Leuchtturm. Seine Werte übertreffen - zum anderen - auch weit die seines Vorgängers. Im Sommer vergangenen Jahres hatten wir, noch vor dem Polizeieinsatz im Stuttgarter Schlossgarten, nach der Beliebtheit des christdemokratischen Regierungschefs Stefan Mappus fragen lassen: Lediglich 37 Prozent zeigten sich mit ihm zufrieden oder gar sehr zufrieden.

 

Der Grünen-Politiker trifft mit seiner Art und seiner Ausstrahlung offenkundig den Zeitgeist bei einer Mehrheit der Menschen im Land. Offenbar haben sie sich nach einem Landesvatertyp gesehnt - und Kretschmann erfüllt diese Anforderungen. Seine Ankündigung, eine Politik des Zuhörens zu machen, die Menschen in politische Entscheidungen stärker einbeziehen zu wollen, kommt den Erwartungen der meisten Bürger entgegen.

Ein Drittel ist pessimistisch

Winfried Kretschmann rekultiviert erfolgreich für die politische Klasse zerstörte Glaubwürdigkeit. Das ist derzeit sein wichtigstes Kapital. Es basiert aber auf einem Vorschuss, den ihm die Bürger zugestehen. Ob Kretschmann in den hundert Tagen seines Landesregiments tatsächlich so viel richtig gemacht hat, ist den Menschen gar nicht so wichtig. Immerhin hat er in dieser Zeit nicht so viel falsch gemacht, dass das mit seiner Wahl geweckte Vertrauen enttäuscht worden wäre.

Das ist angesichts des Dauerkonflikts zwischen den Koalitionspartnern Grüne und SPD über Stuttgart 21 keine Selbstverständlichkeit. Auch Kretschmann war bei diesem Streit nicht in jeder Wendung souverän. Seine Unsicherheiten sind ihm aber verziehen worden. Das muss freilich nicht so bleiben. Immerhin mehr als 30 Prozent der Befragten rechnen damit, dass das grün-rote Experiment in Baden-Württemberg nicht die ganze Legislaturperiode hält. Das ist ein Warnzeichen für die Akteure.

Die SPD steht im Schatten

Welche Schlüsse könnten die Koalitionäre aus dieser Zwischenbilanz ziehen? Der nächstliegende ist, dass es fatal wäre, den grün-roten Leithammel infrage zu stellen. Das gilt für die Grünen. Selbst bei ihnen gibt es ja unterschiedliche Bewertungen in der Frage, wie fundamental der Bahnhofsstreit zu führen sei. Kretschmanns mäßigender Einfluss wirkt sich für die Partei positiv aus. Schließlich konnte sie bei der aktuellen Sonntagsfrage gegenüber der Landtagswahl noch einmal zulegen.

Die SPD steht klar im Schatten Kretschmanns und der Grünen. Das wird ihr Probleme bereiten, denn beim Wahlvolk kommen die Sozialdemokraten nicht aus ihrem Tief heraus. Ihre eindeutige Positionierung für Stuttgart21, die ja nicht die Meinung der gesamten Partei widerspiegelt, zahlt sich nicht aus. Das könnte innerparteiliche Fronten wieder aufreißen. Selbst die Tatsache, dass sie sich in der Regierung wichtige Posten gesichert hat, hilft der SPD nicht. Ihre Minister brauchen noch Zeit, um sich zu entfalten. Das gilt vor allem in der Bildungspolitik, wo man gerne wissen würde, wie das neue Schulsystem aussehen soll.

Union ist noch nicht stabil

Die oppositionelle CDU muss sich fragen, ob es ratsam ist, eine so anerkannte Identifikationsfigur wie Kretschmann hart anzugehen. Nicht umsonst hat der Altministerpräsident Günther Oettinger seine Parteifreunde davor gewarnt. Das erste Zwischenergebnis lässt noch nicht erkennen, dass sich die Union stabilisiert hätte.

So ist es eben nach Wechseln: Da muss sich noch manches zurechtrütteln.