Die Debatte über die grausame Exekution in den USA sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Hinrichtungen in vielen Ländern zum Alltag gehören. StZ-Redakteur Stefan Geiger fordert eine dauerhafte Ächtung der Todesstrafe.

Stuttgart - In China werden jährlich Tausende von Menschen hingerichtet. Dies ist eine Schätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Die realen Zahlen gelten als Staatsgeheimnis. Im Iran wurden 2013 die Hinrichtungen von 369 Menschen bestätigt; tatsächlich dürften es viel mehr sein. Im Irak waren es mehr als 169, in Saudi-Arabien mehr als 79, in den USA 39. Die Todesstrafe wird in vielen Staaten nicht nur bei Tötungsdelikten verhängt, auch nach Ehebruch (in Saudi-Arabien), bei Gotteslästerung (in Pakistan), bei Wirtschaftsverbrechen (zum Beispiel in China), bei Raub (zum Beispiel in Kenia). Amnesty hat die begründete Vermutung, dass auch 2013 wieder Menschen gefoltert und misshandelt worden sind, um ihnen Aussagen abzupressen, die dann zu Todesurteilen geführt haben: in Afghanistan, China, Irak, Iran, Nordkorea, Pakistan, Gaza und Saudi-Arabien.

 

Das sind die Zahlen und Fakten, die schrecken müssten. Wir haben uns längst daran gewöhnt. Die blühenden Wirtschaftsbeziehungen zu China leiden nicht im Geringsten unter dem Blutzoll einer grausamen Staatsmacht. Jetzt aber hat der qualvolle Tod des Clayton Lockett in den USA die Diskussion über die Todesstrafe neu entfacht. Der Todeskampf dieses Mörders dauerte 43 Minuten, weil die ihm verabreichten Chemikalien nicht wirkten; er starb schließlich an einem Herzinfarkt.

Viele Staaten haben die Todesstrafe abgeschafft

Lockett ist binnen weniger Monate bereits der zweite Verurteilte, der in den USA so sterben musste. Das grausame Ende der beiden Männer ist ein Beleg für das Versagen der Gefängnisverwaltungen und für die Unfähigkeit der US-Justiz, wenigstens die selbst gesetzten Regeln einzuhalten. Als Argument gegen die Todesstrafe taugt es nur begrenzt. Dass diese Form der faktischen Folter skandalös ist, darüber ist man sich auch in Amerika einig, wo noch immer zwei Drittel der Bürger die Todesstrafe befürworten. Das Töten wird in den 32 US-Staaten, die es noch erlauben, nun perfektioniert, nicht abgeschafft werden.

Es gibt zwei gegenläufige Entwicklungen: Noch 1978 hatten erst neunzehn Staaten die Todesstrafe abgeschafft, heute wenden sie 140 Staaten nicht mehr an. Allein seit 1990 haben 50 Staaten die Todesstrafe aus ihren Gesetzbüchern gestrichen. Der öffentlichen Sicherheit hat es nicht geschadet, und die Menschen akzeptieren es inzwischen. Bis 1977 stellten die Befürworter der Todesstrafe in Deutschland noch die Mehrheit, heute sind sie in der deutlichen Minderheit. In den 58 Staaten aber, die an der Todesstrafe festhalten, werden immer mehr Todesurteile ausgesprochen und auch immer mehr dieser Strafen vollstreckt. Dabei dient die Todesstrafe in Wahrheit oft weniger der Sühne eines Verbrechens als dem Machterhalt eines Regimes. Die ebenso furchtbaren wie absurden Entscheidungen eines ägyptischen Richters, in zwei Verfahren mehr als 1000 Menschen zum Tode zu verurteilen, sind lediglich prägnante Beispiele dafür.

Die Ächtung der Todesstrafe ist eine dauerhafte Aufgabe

Längst ist bewiesen, dass die Todesstrafe nicht abschreckend wirkt, andere Formen des Strafens effektiver sind. Es gibt viele Argumente gegen die Todesstrafe. Doch im Kern ist ihre Abschaffung eine zivilisatorische Wertentscheidung, die Abkehr von der Vergeltung im Recht. Diese Wertentscheidung muss immer wieder verteidigt und eingefordert werden. In Deutschland, diesem konfliktarmen Land, ist das verhältnismäßig einfach. Wir sollten dabei freilich nicht vergessen, dass in den siebziger Jahren, unter dem Eindruck des RAF-Terrors, Politiker, die ernst genommen werden wollten, auch bei uns die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert haben. Die Ächtung der Todesstrafe ist eine dauerhafte Aufgabe. Sie muss nicht nur unter dem Eindruck einer misslungenen Exekution in den USA gefordert werden, sondern beispielsweise auch im wirtschaftlichen Alltag gegenüber China.