Die Europäische Union kommt im Ukraine-Konflikt nicht voran. Sie muss akzeptieren, dass es eine Lösung nur gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Putin geben kann, analysiert der Brüsseler StZ-Korrespondent Christopher Ziedler.

Brüssel - Natürlich ist es nur einer Zufälligkeit des Kalenders geschuldet gewesen. Dennoch saßen am Dienstag erstmals alle im Konflikt über die Zukunft der Ukraine beteiligten Parteien ihren jeweiligen Kontrahenten gegenüber – Regierung und Opposition in Kiew, die Europäische Union und Russland als strategische Buhler bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel.

 

Entscheidend näher gerückt ist eine Lösung damit nicht, die Bürgerkriegsgefahr im größten Land Europas bleibt real. Denn der Rücktritt der Regierung und die Rücknahme mehrerer Notstandsgesetze dürften der Opposition nicht mehr genügen. Die Lage befrieden kann allein Staatschef Viktor Janukowitsch, wenn er beiseitetritt und den Weg für Neuwahlen frei macht. Die Ukrainer müssen darüber abstimmen, wo sie ihre Zukunft sehen – in West, Ost oder am besten in gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu beiden Seiten.

Die EU steht vor dem zweiten strategischen Fehler

Dazu braucht es – ob Europa das nun gutheißt oder nicht – Wladimir Putin. Es war der Kremlherrscher, der mit seiner ökonomischen Erpressungsstrategie Kiews Rückzieher beim Assoziierungsabkommen mit der EU erzwang und so die proeuropäische Protestwelle auslöste. Die EU begeht den zweiten strategischen Fehler, wenn sie die wirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine und Putins großrussische Bestrebungen erneut unterschätzt. Es ist verständlich, aber nicht genug, wenn sich die Europäer jedwede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine verbitten. Das Abkommen ist keine rein bilaterale Angelegenheit, da die EU das Land damit aus dem russischen Dunstkreis herauslösen will. Mit dem einseitigen Vermittlungsversuch der Außenbeauftragten Catherine Ashton wird Putin gar noch Gelegenheit geboten, sich als neutraler Gönner in der Ferne zu inszenieren und seinerseits den Europäern Einmischung vorzuwerfen.

Die Weigerung, auf den Wunsch der ukrainischen Führung nach einem Dreiergespräch einzugehen, kann trotz der jüngsten Erfolge der Opposition keine tragfähige Lösung für das Land bringen. Die EU wirkt wie ein außenpolitischer Lehrling, wenn sie, idealistisch zwar, aber doch blauäugig, auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker pocht, ohne die machtpolitische Realität ins Auge zu fassen. Es wurde beim Gipfeltreffen nicht einmal versucht, Putin in eine diplomatische Initiative einzubinden. Im Ergebnis konnte er sich als jemand gebärden, der keinerlei Interessen in der Ukraine verfolgt. Verkehrte Welt!

Druckmittel gegen Russland gäbe es genug

Wo ist eigentlich die Kanzlerin in dieser verfahrenen Lage? Es mag gut gemeint sein, die EU-Institutionen dieses Terrain stellvertretend für alle beackern zu lassen. Aber es ist eben etwas anderes, ob Kommissionschef José Manuel Barroso, Ratspräsident Herman Van Rompuy und die Außenbeauftragte Ashton zwischen Serbien und Kosovo vermitteln – oder ob sie einem der mächtigsten Politiker der Welt gegenübersitzen. Hätte der Gipfel eine gemeinsame Lösungsinitiative für die Ukraine starten wollen, hätten sich auf europäischer Seite Angela Merkel, François Hollande oder David Cameron stärker einmischen müssen.

Druckmittel gäbe es. Gut eine Woche vor Olympia in Sotschi hätte man dem Kremlherrscher klarmachen müssen, dass die Putin-Festspiele ins Wasser fallen könnten, wenn Russland die Menschenrechte weiter mit Füßen tritt und er nicht schnell, im Sinne einer politischen Lösung, seinen Einfluss auf Janukowitsch geltend macht. Nicht zuletzt ist Putins ökonomisch wieder schwächelndes Russland auf eine intensivere Kooperation mit der EU angewiesen. Die sollte sie ihm anbieten. Im Gegenzug dafür müsste er anerkennen, dass sich gleichermaßen enge Beziehungen der Ukraine mit der EU und Russland nicht ausschließen – und ihr auf diesem Weg keine Steine mehr in den Weg legen. Dass Experten nun die handelspolitischen Streitfragen ausräumen sollen, ist ein Anfang – mehr nicht.