Die Ukraine fühlt sich vom Westen im Stich gelassen. Dieses Gefühl weckt auch in Polen böse Erinnerungen, analysiert der StZ-Redakteur Knut Krohn. Und daran ist die Bundesregierung nicht unschuldig.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Stuttgart - Die Ukraine fühlt sich im Stich gelassen. Der Verlust der Krim wird von der internationalen Staatengemeinschaft inzwischen fast schulterzuckend akzeptiert. Die Hoffnung des Westens, dass damit der Hunger der russischen Separatisten gestillt sein möge, hat sich als trügerisch erwiesen. Sie stürzen das Land immer weiter ins Chaos, während Moskau an der Grenze mit einem Militärmanöver provoziert. Der russische Präsident Wladimir Putin betreibt sein gefährliches Spiel unbeirrt, während der Westen auch Wochen nach dem Ausbruch der Krise nach den richtigen Antworten sucht. Telefonate zwischen den Staatschefs und die Drohungen des Westens mit Sanktionen gegenüber Moskau sind Arseni Jazenjuk in dieser gefährlichen Situation zu wenig. Der ukrainische Regierungschef will die Staatengemeinschaft aufrütteln und greift – zumindest verbal – zum allerletzen Mittel: er warnt vor dem „dritten Weltkrieg“.

 

Europa ist angesichts der Eskalation der Krise auf dem eigenen Kontinent überraschend tatenlos geblieben. Lediglich die meisten der osteuropäischen Nachbarstaaten der Ukraine, die über Jahrzehnte ihre leidvollen Erfahrungen mit Moskau gemacht haben, drängen ihre Partner in der EU zum Handeln.

In Polen werden böse Erinnerungen geweckt

Vor allem Polen, das in der Region eine Führungsrolle innehat, warnte von Anfang an vor dem Zerfall der Ukraine – ohne im Westen Gehör zu finden. Während Warschau seine Grenztruppen verstärkt, um sich auf einen Ansturm von Flüchtlingen aus dem Nachbarland vorzubereiten, wird in deutschen Talk-Shows offen um Verständnis für das völkerrechtswidrige Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin geworben.

Das weckt in Polen böse Erinnerungen an die eigene Teilung während des Zweiten Weltkrieges. Wird im Fall der Ukraine wieder ein Staat auf Kosten der wirtschaftlichen und politischen Interessen der beiden mächtigen Länder Deutschland und Russland geopfert? Ein Ziel von Bundeskanzlerin Angela Merkel dürfte gewesen sein, beim Besuch des polnischen Premiers Donald Tusk in Berlin solche Bedenken zu zerstreuen. Das wird ihr nicht in Gänze gelungen sein, denn auf polnischer Seite wachsen angesichts der Krise grundsätzliche Zweifel an der Solidarität Deutschlands gegenüber seinem Nachbarn.

Das deutsch-polnische Interesse ist nicht symmetrisch

Deutschland muss sich zum Vorwurf machen lassen, dass man das stark auf die Geschichte ausgerichtete Denken der Polen bis heute nicht wirklich verstanden hat. Das ist erstaunlich, denn der erbittert ausgetragene Streit vor wenigen Jahren um den Bau der Nordseepipeline zwischen Russland und Deutschland – unter Umgehung Polens – müsste allen Beteiligten in Berlin noch in lebhafter Erinnerung sein. Damals fühlten sich die Polen zwischen Hammer und Amboss. Dabei ging es ihnen weniger um die eigene Energieversorgung, sondern um die Solidarität der Verbündeten, die sie bei den Verhandlungen zwischen Berlin und Moskau vermissten.

Immer wieder zeigt sich ein zentrales Problem im Verhältnis zwischen den beiden Nachbarländern. Das Interesse hierzulande an Polen ist traditionell ungleich geringer als das der Polen an Deutschland. In Warschau nehmen die Verantwortlichen mikroskopisch genau wahr, was in Berlin geschieht, weil das auch tief in die dortige Politik hineinspielt. Umgekehrt ist das nicht der Fall. Die Geschichte der Nachbarn ist eine Geschichte der Asymmetrie, die das 19. und 20. Jahrhundert prägte und die offensichtlich nicht enden will. Dieses Gefälle in der Wahrnehmung mag irgendwie erklärbar sein, wirklich nachvollziehbar und politisch klug ist es nicht, denn das Verhältnis zu Polen ist ebenso wichtig wie die Beziehungen zu Frankreich. Zumal Polen und Deutsche erstmals in ihrer wechselvollen Geschichte aus Überzeugung gemeinsam auf der gleichen Seite sitzen, in Brüssel wie in der Nato.