Juristisch ist die Halbinsel Krim natürlich ein Teil der Ukraine. Aber es gibt gute Gründe, warum sie russisch werden und Putin dagegen sein sollte. Ein Kommentar von StZ-Redakteur Christian Gottschalk.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Zumindest auf der Straße scheint sich die Lage in Kiew zu beruhigen. Nun droht auf der Krim ein ähnlicher Aufruhr, wie ihn die ukrainische Hauptstadt in den letzten drei Monaten erlebt hat. Vielleicht wird es sogar noch schlimmer. Ob die Halbinsel am Ende noch zur Ukraine gehört, ist kaum vorhersehbar. Es gibt gute Gründe, die dafür sprechen, dass sich das Gebiet wieder Russland zuwendet. Allerdings könnte ausgerechnet der große Nachbar ein strategisches Interesse daran haben, dass dies nicht geschieht.

 

Daran, dass die Krim derzeit zur Ukraine gehört, besteht kein juristischer Zweifel. Doch vieles von dem, was in den vergangenen Tagen geschehen ist, lässt sich nicht mit rechtlichen Normen erklären. Es wurden politisch Fakten geschaffen. Der abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch mag das anders sehen, aber an seine Rückkehr ins Amt ist nicht zu denken. Man muss sich nicht darüber streiten, ob die ukrainische Verfassung verletzt worden ist. Ja, das ist sie. Man kann die Ereignisse jedoch je nach Standpunkt als illegalen Putsch oder als gerechtfertigte Revolution bezeichnen. Wer letztere Ansicht vertritt, gibt Volkes Stimme einen hohen Stellenwert.

Die Krim ist fest in russischer Hand

Auf der Krim spricht das Volk eine andere Sprache. Achtzig Prozent der etwa zwei Millionen Krim-Bewohner haben in den vergangenen Wahlen für Janukowitsch gestimmt. Nicht allein aus Überzeugung von dessen Kompetenz, sondern weil er am ehesten zu Moskau hält. Die Krim mag zur Ukraine gehören, doch sie ist fest in russischer Hand. Das gilt für die großen Clubs und Hotels in den Badeorten wie für die Einrichtungen der russischen Schwarzmeerflotte. Es gilt vor allem für das Denken der Menschen. Wenn die Bevölkerung hier ebenso wie in der Hauptstadt ihr Schicksal in die Hand nähme, dann wäre das Ergebnis genau das Gegenteil von dem in Kiew, nämlich ein deutliches Bekenntnis zu Russland. Wer Volkes Stimme in der Hauptstadt akzeptiert, der müsste auch auf die Stimme im äußersten Südosten hören. Auch dann, wenn die sich wie in Kiew ohne juristische Grundlage zu Wort meldet.

Die Krim spricht Russisch, und es ist ein gewaltiger Fehler der Parlamentarier in Kiew gewesen, dass sie unmittelbar nach dem Machtwechsel ein Gesetz außer Kraft gesetzt haben, das Russisch auf regionaler Ebene als offizielle Sprache anerkennt. So lässt sich ein gespaltenes Land nicht friedlich zusammenführen, so werden Bedenken und Ängste geschürt. Eine Disziplin, die freilich auch der russische Präsident Wladimir Putin meisterlich beherrscht.

Putin provoziert – und treibt die Spaltung der Ukraine voran

Natürlich ist es eine Provokation, dass Putin seine Soldaten an der Grenze in Alarmbereitschaft versetzt. Natürlich ist es eine Provokation, wie die russische Presse mit überzogenen Horrorgeschichten Ängste schürt. Und wenn sich auf der Krim sogenannte Selbstverteidigungskräfte gegen Kiew wenden, dann dürfen die sicher sein, die Sympathien Moskaus zu haben – vielleicht auch mehr als das. Die größte aller denkbaren Provokationen ist es, wenn sich bestätigt, dass Putin tausende von Soldaten im Glauben einmarschieren lässt, die schwache Übergangsregierung in Kiew könne dem nichts entgegensetzen. Die Krise bekommt damit eine völlig andere Dimensionen. Russland steht international noch isolierter da, als es ohnehin schon.

Allerdings: solange die russische Flotte auf der Krim liegt und solange die Krim Teil der Ukraine ist, so lange ist es unvorstellbar, dass das Land einen Weg in die Nato oder die EU finden könnte. Solch eine Mitgliedschaft wäre für Putin der Mega-GAU. Sie zu vermeiden war ein Grund für den Vertrag, wonach die Flotte bis 2042 in Sewastopol stationiert wird. Den hat sich Russland immerhin 40 Milliarden Dollar kosten lassen. Es wäre daher im ureigensten Interesse Putins, nicht nur die Flotte zu halten, sondern gleichzeitig eine Abspaltung der Krim zu vermeiden.