Am Sonntag wählen die Griechen wieder einmal ihr Parlament. Das Land ist wirtschaftlich am Boden – und jetzt droht auch noch das gesamte politische System zu scheitern. Dies befürchtet der Griechenland-Korrespondent der StZ, Gerd Höhler.

Athen - Wenn die Griechen am Sonntag zu den Wahlurnen gehen, können sie sich nicht über einen Mangel an guten Ratschlägen beklagen. Bundesaußenminister Guido Westerwelle warnte sie davor, „populistischen Versprechungen“ zu glauben; Finanzminister Wolfgang Schäuble mahnte: „Es gibt keinen bequemen Weg.“ Und Kanzlerin Angela Merkel appellierte an die Griechen, ihre Spar- und Reformversprechen einzuhalten. Das sind wohlmeinende Aufrufe. Aber sie nützen eher extremen politischen Kräften wie dem radikallinken Bündnis Syriza, dessen Chef Alexis Tsipras das „barbarische Spardiktat“ beenden und die Kreditverträge mit der Europäischen Union annullieren will.

 

Viele Griechen fühlen sich nämlich von den Europäern bevormundet. Da werden auch gut gemeinte Ratschläge schnell als unzulässige Einmischung gedeutet. Umgekehrt hat sich in vielen anderen Ländern Europas die Vorstellung von Griechenland als einem „Fass ohne Boden“ festgesetzt. Dabei wird übersehen, dass die Griechen beim Kampf gegen das Haushaltsdefizit durchaus Erfolge vorzuweisen haben. Doch die Konsolidierung hat einen hohen Preis: die Wirtschaftsleistung ist seit Beginn der Krise um fast ein Fünftel geschrumpft. Das Land geht ins fünfte Jahr der Rezession.

Die Politik ist gescheitert

Einen so tiefen und so langen wirtschaftlichen Abschwung hat kein europäischer Staat seit Kriegsende durchmachen müssen. Und die Durststrecke wird immer länger. Statt eines noch vor Jahresfrist vorausgesagten Wachstums von 1,1 Prozent wird das Bruttoinlandsprodukt 2012 erneut um fast sechs Prozent schrumpfen. Eine Rückkehr zum Wachstum ist frühestens 2014 zu erwarten. Vor dem Hintergrund dieses in der europäischen Nachkriegsgeschichte beispiellosen wirtschaftlichen Absturzes sind die Sparerfolge zwar beeindruckend, aber eine Politik, die jeden Tag etwa tausend Menschen um ihre Jobs bringt und dazu führt, dass ein knappes Drittel der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt, ist eine gescheiterte Politik.

Griechenland erlebt deshalb nicht nur einen Absturz der Wirtschaft, sondern auch das politische System gerät aus den Fugen. Manche Kommentatoren sehen bereits „Weimarer Verhältnisse“. Das Erstarken extremistischer Gruppierungen wie der Neonazipartei „Goldene Morgenröte“ und die zunehmende politische Gewaltbereitschaft sind deutliche Warnsignale. Selbst die beste Medizin ist lebensgefährlich, wenn die Dosis nicht stimmt.

Weitere Hilfskredite sind notwendig

Die Gläubiger haben Griechenland anfangs zu strikte Sparauflagen gemacht, die das Land überfordert und seine Wirtschaft abgewürgt haben. Der Schuldenschnitt im März dieses Jahres war ein erster wichtiger Schritt, die Schuldentragfähigkeit wiederherzustellen. Doch er kam – wie alle Rettungsmaßnahmen – viel zu spät. Hätte sich die Politik bereits ein Jahr früher zu dem Schnitt entschlossen, wäre die Maßnahme wirkungsvoller und für alle Beteiligten billiger geworden. Nun muss das Konsolidierungsprogramm an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Griechenlands angepasst werden. Sparvorgaben sind nur dann sinnvoll, wenn sie erfüllbar sind. Die bisherige Planung, wonach die Griechen in den beiden kommenden Jahren erneut knapp zwölf Milliarden Euro einsparen müssen, ist genauso realitätsfremd wie die Annahme, das Land könne schon 2015 wieder an den Kapitalmarkt zurückkehren.

Das Konsolidierungsprogramm muss also gestreckt werden, und zwar um mindestens zwei, besser drei Jahre. Das bedeutet, so schmerzhaft es in europäischen Ohren auch klingen mag: die Hilfskredite müssen noch einmal aufgestockt werden. Aber Voraussetzung für weitere Hilfen ist natürlich eine griechische Regierung, die sich zu den Zielen der Stabilitätspolitik in der Eurozone und damit zur europäischen Perspektive des Landes bekennt. Darum geht es bei der Wahl am Sonntag.