Indien wählt den Hindunationalisten Narendra Modi an die Macht. Die größte Demokratie der Welt ist in Gefahr, kommentiert StZ-Asienkorrespondent Willi Germund.  

Indien hat sich für den „sanften Faschismus“ entschieden, wie das Massenblatt „Times of India“ die zukünftige Regierung des Hindunationalisten Narendra Modi charakterisiert. Die Mammutnation, die mit ihrer Vielfalt an Kulturen, Sprachen und einem chaotischen Lebensstil als Vorbild für das Zusammenleben verschiedener Religionen und Völker unter einem gemeinsamen Dach galt, wirft die Tradition der Toleranz über Bord. Stattdessen katapultiert sie einen Mann samt einer religiös-nationalistischen Ideologie an die Macht, die von Muslimen über Christen allen Minderheiten den hinduistischen Stempel aufdrücken will.

 

Die Superreichen Indiens wollen den Sohn eines Teeverkäufers, weil er ihnen üppige Profite verheißt. Indiens Mittelklasse ist 250 bis 350 Millionen Menschen stark; sie wählte den Hindunationalisten, weil sie den wirtschaftlichen Niedergang fürchtet. Nach zehnjähriger Amtszeit hatte die Kongresspartei mit ihrer ausgezehrten Gandhi-Dynastie der hindunationalistischen Welle keine Ideen mehr entgegenzusetzen. Sie verabschiedete sich mit einem in der Geschichte Indiens einmalig schlechten Ergebnis in die Opposition. Man muss bezweifeln, dass dem Kongress je wieder die Rückkehr an die Macht gelingt, denn selbst die ärmsten Schichten, die von Sonja Gandhi mit teuren Sozialprogrammen gestützt wurden, kündigten die Gefolgschaft.

Die Kongresspartei hat abgewirtschaftet

Narendra Modi samt seiner blutbesudelten Karriere erscheint den Indern nach Jahren des Schlendrians als einzig verbliebene Alternative. Sie wissen, dass sie ein Risiko eingegangen sind, als sie bürgerliche Freiheiten in die dritte Reihe ihrer Prioritäten verbannten und sich für Recht und Ordnung und wirtschaftliches Wachstum entschieden haben. Doch sie glauben an die demokratische Kraft ihres Landes und hoffen, den Hindunationalisten in der Zukunft wieder in die Schranken weisen zu können.

Aber Modi ist kein Demokrat. Er verlangt Unterwerfung im Tausch für politische Leistungen. Indiens Tycoons, die ihn im Wahlkampf massiv mit Geldmitteln unterstützten, werden dies ebenso zu spüren bekommen wie Beamte im riesigen Staatsapparat. Einige Inder glauben bereits die dunklen Wolken einer autoritären Scheindemokratie nach russischem oder türkischem Muster zu erkennen.

Modi wird sich nicht mäßigen

Die größte Demokratie der Welt ist in Gefahr. Narendra Modi wird weder die Neigung noch den Ansporn besitzen, sich in seiner Position als Premierminister zum gemäßigten Hindunationalisten zu wandeln. Seine Partei besitzt auch ohne Koalitionspartner die absolute Mehrheit im Parlament. Der harte Kern der Sangh Parivar, wie das Sammelsurium hindunationalistischer Organisationen genannt wird, pocht bereits auf die Verwirklichung alter Forderungen wie auf ein einheitlich, hinduistisch geprägtes Zivilrecht.

Der Slogan „India First“, der so viel wie „Indien über alles“ bedeutet, erinnert an die Figur, die Modi als Maßstab vor Augen hat: Atal Bihari Vajpayee, der während seiner Amtszeit 1998 Südasien mit Atomtests in ein nukleares Pulverfass verwandelte.