Nach dem Desaster in Berlin bleibt dem FDP-Chef Philipp Rösler nur noch die geordnete Insolvenz, meint der StZ-Politikchef Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Berlin - Die politische Dynamik in einer Demokratie gleicht oft einer Pendelbewegung. Einem Schwung nach rechts folgt fast immer ein Gegenschwung nach links, danach geht es wieder zurück nach rechts. Seit dem schwarz-gelben Triumph bei der Bundestagswahl 2009 ist das politische Pendel kräftig nach links ausgeschwungen, es reüssieren wechselweise die Sozialdemokraten oder die Grünen.

 

Von den sieben Landtagswahlen des Jahres 2011 konnte die CDU nur eine einzige, nämlich Sachsen-Anhalt, für sich entscheiden. Dort ist der Ministerpräsident weiterhin einer der Ihren. Aber in Baden-Württemberg stellen nun die Grünen den ersten Mann im Land. In Hamburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und nun erneut in Berlin führt ein Sozialdemokrat die Landesregierung. Die FDP hat nicht nur jede Regierungsbeteiligung in diesen Ländern verloren, sondern sie ist - wie jetzt auch in Berlin - mehrfach in hohem Bogen aus dem Parlament geworfen worden. Rot-Grün ist der klare Sieger des "Superwahljahres" 2011.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit hat sich, trotz mäßiger Stimmenzahl, mit seinem dritten Sieg in Folge in die Riege potenzieller Kanzlerkandidaten vorgespielt. Im Unterschied zu den anderen drei Kandidaten-Kandidaten der SPD hat er jeden Wahlkampf gewonnen, in dem er als Spitzenmann antrat. Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, die es jeweils nur einmal auf Landes- oder Bundesebene probiert haben, scheiterten allesamt. Aber Wowereit kann nicht nur siegen. Mit der Deklassierung von Renate Künast hat er auch gezeigt, dass er die Grünen auf Abstand halten kann. Das macht ihn für die SPD noch interessanter.

Getrieben von nackter Überlebensangst

In Prozentzahlen legen die Grünen in Berlin zwar kräftig zu, aber von ihrem eigentlichen Wahlziel - Künast als Regierende - sind sie weit, weit abgekommen. Der Grünen-Hype hat eben auch seine Grenzen. Mit der Piratenpartei, die erstmals in ein Landesparlament einzieht, erwächst ihnen sogar eine gefährliche Konkurrenz.

Mit witzigen Wahlkampfsprüchen haben die Piraten in Berlin einen Platz geentert, den früher mal die Grünen innehatten: als Stachel im Fleisch der etablierten Politik - durchaus attraktiv auch für Verdrossene, die ihren Protest gegen die anderen Parteien nicht durch Wahlabstinenz ausdrücken wollen.

Auch die FDP, getrieben von nackter Überlebensangst, hat sich in Berlin als Protestpartei ausprobiert. Die Liberalen versuchten die Abstimmung in der Hauptstadt zu einem Plebiszit über den Eurokurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu machen. Es war nicht das erste Mal, dass die FDP die Stimmung am Stammtisch aufgriff, um Stimmen zu fangen.

Pendel schwingt Richtung Rot-Grün

Jürgen W. Möllemann wollte antisemitische Ressentiments nutzbar machen, Guido Westerwelle bediente mit seinem Wort von der "spätrömischen Dekadenz" Ängste vor einem überbordenden Sozialstaat, nun spielte Philipp Rösler die Karte des Euroskeptikers. Es war ein riskantes Spiel, er hat sich verzockt.

Rösler hat diese Wahlschlappe persönlich zu verantworten. Die Autorität seines Vorgängers Guido Westerwelle ist schon dahin, auch als Außenminister. Nun hat Rösler nach nur vier Monaten den Kredit aufgebraucht, der ihm als Neuling im Wirtschaftsministerium wie an der FDP-Spitze eingeräumt wurde. Wären die Liberalen ein Staat, müssten sie sich selbst wohl eine "geordnete Insolvenz" empfehlen. Mit einem solchen ratlosen, führungsschwachen und fortan wohl hypernervösen Partner wird das Regieren für Angela Merkel noch schwieriger, als es ohnehin schon ist.

SPD und Grüne werden es gelassen beobachten. Sie können auf einen schnellen Bruch der Regierung warten - oder auch bis zur regulären Bundestagswahl im Jahr 2013. Noch schwingt das Pendel ungebremst in Richtung Rot-Grün.