Nach der Wahl in Sachsen-Anhalt ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass es in Baden-Württemberg zum Machtwechsel kommt, meint Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Magdeburg - Die Wähler in Sachsen-Anhalt haben sich in den gut zwanzig Jahren seit Neugründung ihres Landes als sehr beweglich erwiesen, man könnte auch sagen: als ausgesprochen unkalkulierbar. Ihre Zuneigung zu einer Partei ist oft nur kurz, viele probieren von Wahl zu Wahl etwas Neues aus. Diese Beweglichkeit spiegelt sich auch in einer bunten Folge von Regierungsbündnissen wider. In Magdeburg gab es schon Schwarz-Gelb, Rot-Rot-Grün, Rot-Rot und Schwarz-Rot – teilweise nicht in fester Koalition, sondern als tolerierte Minderheitsregierung.

 

Diesmal haben die Wähler so abgestimmt, dass die seit 2006 regierende Koalition aus CDU und SPD fortgeführt werden könnte. Das würde bisher unbekannte Kontinuität in das Sachsen-Anhalter Regierungshandeln bringen. Es würde dem Land, das angesichts schlechter Werte bei Wirtschaftswachstum, Innovationskraft und Arbeitslosigkeit viele Jahre die „rote Laterne“ trug, guttun. Dem scheidenden Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer (CDU) und seinem Stellvertreter, Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD), gelang eine durchaus erfolgreiche Aufholjagd. Vor allem verhalfen sie den Sachsen-Anhaltern zu neuem Selbstbewusstsein, kein nebensächlicher Erfolg. Der CDU-Spitzenkandidat Reiner Haseloff, bisher Wirtschaftsminister, wird trotz Stimmverlusten versuchen diesen schwarz-roten Weg fortzuführen.

Auch Rot-Rot-Grün hätte eine Mehrheit

Die Sozialdemokraten fühlten sich bisher in der Rolle des Juniorpartners nicht unwohl. Erst in der Schlussphase des Wahlkampfes, als die SPD in den Umfragewerten nahe an die Linkspartei heranrückte, begann Bullerjahn ernsthaft mit dem Gedanken zu spielen, er selbst könnte zum Ministerpräsidenten aufsteigen. Die Zahlen erlauben nun eine neue Rechnung: auch Rot-Rot-Grün hätte eine Mehrheit.

Wäre die Linkspartei bereit, als stärkste Gruppe in diesem Dreierverbund ihren Anspruch auf den Chefposten in der Staatskanzlei aufzugeben, könnte Bullerjahn es trotzdem noch schaffen. Bei den Grünen gab es schon vor der Wahl solche Gedankenspiele. Auf den Wählerwillen können sich die drei Parteien allerdings nicht berufen. Die Sachsen-Anhalter votierten klar für eine Fortsetzung der Großen Koalition.

Verlierer ist die FDP

Eindeutiger Verlierer der Wahl ist die FDP, die an der Fünfprozenthürde hängenblieb. Im Heimatland des FDP-Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher ist diese Wahlschlappe für die Liberalen besonders schmerzhaft. Sah es nach der Hamburg-Wahl so aus, als würden sich Guido Westerwelle und seine Partei langsam aus der Krisenzone herausbewegen, spricht Sachsen-Anhalt gegen eine Erholung. Diese Landtagswahl war die erste Wahl nach der japanischen Atomkatastrophe. Und es war die letzte Wahl vor den Abstimmungen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg am kommenden Sonntag – dem wohl wichtigsten Wahltag in diesem Jahr. Die Signalwirkungen sollten nicht überschätzt werden, zu stark ist das Ergebnis von Sachsen-Anhalter Besonderheiten geprägt. So viel aber hat dieser Sonntag doch gezeigt: vom Erstarken der Anti-Atom-Bewegung profitieren fast ausschließlich die Grünen – weit mehr als die ebenfalls seit Jahren ausstiegswilligen Sozialdemokraten. In Sachsen-Anhalt gelang den Grünen dank dieses Wählerzustroms der Sprung in den Landtag, dem sie viele Jahre nicht angehörten.

Verursachen die Wähler in Baden-Württemberg eine vergleichbare Stimmbewegung, dürften die Grünen hier stärker als die SPD werden und damit den Führungsanspruch in einer grün-roten Koalition begründen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass es bald den ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland gibt, ist gestiegen. In Sachsen-Anhalt blieb der Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel ein politischer GAU erspart. Für den nächsten Sonntag muss sie weiter zittern.