Deutschland wird Weltmeister – und viele Menschen rund um den Globus jubeln mit der Nationalmannschaft um Bastian Schweinsteiger. Möglich wurde dies vor allem durch das unbefangene und faire Auftreten der Nationalkicker, meint Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - So sehen Sympathieträger aus! Es mag die vielleicht schönste Erkenntnis der Nacht von Rio sein: Jogis Jungs werden Weltmeister – und rund um den Erdball jubeln die Zuschauer mit ihnen. Von Brasilien über Afrika bis China wird anerkannt, dass die beste Mannschaft des Turniers gewonnen hat. Der sonst übliche Neidreflex bleibt gänzlich aus. Dank seiner Fußballer sammelt Deutschland Bonuspunkte weit über den Sport hinaus.

 

Die Hochachtung gilt nicht zuletzt einer Multikulti-Truppe, deren Wurzeln ganz offensichtlich – man denke nur an Jérôme Boateng – in sehr unterschiedlichen Staaten zu finden sind. Aber auch das geschlossene, faire und verhaltene Auftreten der Spieler, die – psychologisch bestens vorbereitet – selbst nach dem 7:1 gegen Gastgeber Brasilien und nach dem Titelgewinn gegen die Argentinier auf übertriebene Triumphgesten verzichteten, hat den Respekt verstärkt. So konnten die vereinzelten Versuche während der WM, dumpfe Vorurteile gegen die Deutschen wieder zu beleben, nicht verfangen. Die Unbefangenheit von Schweinsteiger, Poldi & Co. hat derlei Ansätze sogleich wieder zunichte gemacht.

Das „Schland-Band“ umfasst die ganze Nation

Im Nu ist die Woge der Emotionen von Rio direkt in die Heimat gerollt. Wie selten zuvor fieberten die Deutschen mit ihrer Mannschaft. Das „Schland-Band“ umfasst die ganze Nation mit all ihren kulturellen Gruppen – was bewegend sein kann, wenn selbst die Kinder vor dem Asylbewerberheim in Nationalfarben gekleidet lauthals „Deutschland, Deutschland“ skandieren. So findet der Teamgedanke der Weltmeister in der Gesellschaft eine Fortsetzung. Wie schön wäre es, wenn sich das Gemeinsamkeitsgefühl konservieren ließe. Dann könnte sich tatsächlich die Willkommenskultur einstellen, die in der Flüchtlingsdebatte vielfach noch vermisst wird.

Die Lockerheit der Spieler bei fast allen ihren Auftritten in Brasilien ist durchaus symptomatisch für das veränderte Selbstbewusstsein hierzulande. Was 2006 mit der WM im eigenen Land einen explosionsartigen Ausbruch erlebte, hat sich mittlerweile verselbstständigt. Eine Deutschland-Flagge am Auto würde heute niemand mehr als symbolhafte Zurschaustellung von Nationalstolz empfinden. Stattdessen dient das Stück Stoff lediglich als schwarz-rot-goldenes Accessoire – so selbstverständlich wie Bier und Bratwurst. Man mag den Party-Patriotismus auch kritisch beurteilen. Im Kern ist immerhin erkennbar, dass der verkrampfte Umgang der Deutschen mit sich selbst an Substanz verliert.

Deutschland – eine Insel der Seligen

Sie haben allen Grund, lockerer zu werden. Ging es uns jemals so gut? Studien belegen eine hohe Zufriedenheit im Wirtschaftswunderland. Es gibt Arbeit für fast alle, wachsende Einkommen befördern den Konsum, das soziale Gefüge ist weitgehend intakt, die Lebensqualität somit hoch. Deutschland scheint mit sich im Reinen wie nie zuvor. Nun muss man keine Spaßbremse sein, um darauf hinzuweisen, dass die Republik – zumal eine, die von der WM euphorisiert ist – derzeit wie eine Insel der Seligen anmutet. Der Rest Europas hat seine Wirtschaftsprobleme noch lange nicht überwunden, und die Welt zerfällt in immer mehr Krisenherde. Gaza, Irak, Ukraine und Syrien: ein Krieg verdrängt den nächsten aus den Schlagzeilen, derweil in Westeuropa tiefster Frieden herrscht.

Wie lässt sich mit diesem Zwiespalt umgehen? Vielleicht, indem sich die Deutschen ihres momentanen Glücks vergewissern, ohne den Rest der Welt aus den Augen zu verlieren. Selbstisolation wäre der falsche Weg. Die Nationalspieler haben es sportlich vorgemacht, dass man sich etwas zutrauen muss, um Großes zu erreichen. Selbstvertrauen ohne Pathos ist auch für die Politik ein gutes Leitmotiv. Nicht belehrend dürfen die Deutschen auftreten, aber mit der Zuversicht, viel Wohlwollen von den anderen zu ernten, wenn sie ohne Überheblichkeit ihre Stärken einbringen.