Die Weltwirtschaft befindet sich noch immer im Krisenmodus. Erst gerieten viele Industrieländer in Turbulenzen, jetzt kommen immer mehr Schwellenländer in Schwierigkeiten, kommentiert Klaus Dieter Oehler.

Frankfurt - Die Weltwirtschaft befindet sich noch immer im Krisenmodus. Bundespräsident Joachim Gauck und die hochrangige Wirtschaftsdelegation, die ihn gerade auf seinem Staatsbesuch in Indien begleitet, finden ein Land vor, das sich nicht nur in einem spannenden Wahlkampf befindet, sondern in dem sich der jüngste Wandel im Herdentrieb der Finanzmärkte deutlich widerspiegelt.

 

Brasilien, Russland, Indien und China waren die Hoffnungsträger der Weltwirtschaft in den letzten Jahren. Zweistellige Wachstumsraten zogen ausländisches Kapital geradezu magisch an. Doch kaum hatte der damalige Chef der US-Notenbank, Ben Bernanke, im Mai vergangenen Jahres angekündigt, seine extrem lockere Geldpolitik schrittweise zurückzufahren, drehte sich die Stimmung. Mehr als 50 Milliarden Dollar zogen die Investoren allein im vergangenen Jahr aus den Schwellenländern ab, um es wieder in den entwickelten Industrieländern zu investieren. Dort sind die Renditen zwar nach wie vor deutlich niedriger, aber die politischen und wirtschaftlichen Risiken auch spürbar kleiner.

Politische Krisen wie in Argentinien, der Ukraine oder der Türkei haben den Wandel noch verstärkt. Die Währungen der Schwellenländer stehen seitdem unter mächtigem Druck, haben bis zu einem Drittel an Wert gegenüber dem US-Dollar verloren. Der Schwerpunkt der Krise, der vor Kurzem noch in Europa lag, hat sich verlagert. Die ersten Experten befürchten bereits die nächste, möglicherweise noch schwerere Krise der Weltwirtschaft.

Es wäre fatal, jetzt den Stab über den Krisenstaaten zu brechen

Das muss nicht so kommen, auch wenn die Zeichen derzeit für Länder wie Argentinien, Türkei, Indien, Südafrika, Indonesien oder Brasilien nicht gut stehen. Anders aber als etwa bei der schweren Asienkrise vor 15 Jahren stehen die meisten der Schwellenländer mit ihrer Wirtschafts- und Finanzstruktur besser da als früher. Allerdings kann man nicht alle Länder über einen Kamm scheren. China etwa verfügt über hohe Leistungsbilanzüberschüsse. Indien dagegen bekommt sein Defizit nicht in den Griff, die Preise steigen immer schneller, vor allem die ärmere Bevölkerung leidet, aber auch der gerade erst entstandene Mittelstand. Übereinstimmend ist jedoch, dass fast alle Schwellenländer für den Aufbau ihrer Infrastruktur und einer Industrieproduktion auf Kapital aus dem Ausland angewiesen sind.

Daher wäre es jetzt fatal, den Stab über den Schwellenländern zu brechen, denn klar ist, dass in diesen Ländern das Wirtschaftswachstum auch in den nächsten Jahren stärker sein wird als in Europa oder den USA. Das liegt einfach daran, dass der Nachholbedarf deutlich größer ist. In der Türkei etwa liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung unter 30 Jahren, in Deutschland bei 45. Und die Bevölkerung wächst schneller als hierzulande. Daher wird der Bedarf an Energieprojekten und allen Gütern des täglichen Lebens automatisch stärker steigen, unabhängig davon, welche politischen Kräfte sich in welchen Krisen auch immer durchsetzen.

Gegen die Spekulation hilft eine Stärkung der Wirtschaft

Der schwierige und langwierige Aufholprozess in den Schwellenländern wird dadurch erschwert, dass an den Kapitalmärkten immer noch oft kurzfristig gedacht und gehandelt, um nicht zu sagen: spekuliert wird. Allein auf dem Devisenmarkt werden tagtäglich über fünf Billionen Dollar bewegt – zum großen Teil ohne Bezug zu realwirtschaftlichen Vorgängen. Diese Spekulation einzudämmen ist schwer. Das beste Rezept, sich gegen die Spekulation und den Währungsverfall zu stemmen, ist eine konsequente Stärkung der Wirtschaft.

Das bietet auch Chancen für die exportorientierte deutsche Industrie. Sie darf sich nicht verschrecken lassen von den kurzfristigen Turbulenzen, sondern sollte auf langfristig vernünftige und sinnvolle Investitionen vertrauen. Und davon gibt es mehr als genug.