Die Europäische Zentralbank senkt den Leitzins auf einen historischen Tiefstand. Doch in der Eurokrise dürfte diese Maßnahme verpuffen, befürchtet der Frankfurter Wirtschafts-Korrespondent der StZ, Klaus Dieter Oehler.

Frankfurt - Wieder einmal ist eine sogenannte historische Entscheidung getroffen worden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Währungsunion liegt der Leitzins der Europäischen Zentralbank unter einem Prozent. Jetzt endlich, möchte wohl die Mehrheit der Bevölkerung denken, sollte doch die Schuldenkrise in Europa zu einem guten Ende kommen. Jetzt endlich sollte es wieder bergauf gehen, sollten die ewigen Spekulationen über ein Auseinanderbrechen der Eurozone, eine tiefe Rezession und wer weiß was an noch Schlimmerem beendet sein. Aber leider ist auch dieser Schritt der europäischen Währungshüter nur ein weiterer Zwischenschritt. Und es gibt keine Garantie dafür, dass er in die richtige Richtung führt. Ebenso wie bei den Beschlüssen, die die Staats- und Regierungschefs Europas in der vergangenen Woche in Brüssel getroffen haben, gibt es Vor- und Nachteile. Die Kritiker werden nicht verstummen.

 

Wie ernst die Lage ist, zeigt die Tatsache, dass auch die Notenbanken in England und selbst in China quasi in einer abgestimmten Aktion ihre Leitzinsen gesenkt haben. Die Schuldenkrise in Europa hängt wie ein Damoklesschwert über der gesamten Weltwirtschaft. Sie lähmt die Investitionslaune der Unternehmen und führt zu Auftragsrückgängen sowie hoher Arbeitslosigkeit in weiten Teilen Südeuropas. Können da noch niedrigere Zinsen helfen? Nein.

Banken brauchen keine besseren Konditionen

Der reale Effekt dieser Zinssenkung dürfte gering sein. In Deutschland, wo sich die Wirtschaft nach wie vor auf einem guten Weg befindet, aber die Schwäche der anderen Länder bereits spürt, brauchen die Unternehmen kein Geld für Investitionen. Auch die Banken, die schon durch die beiden üppigen Finanzspritzen der EZB bestens versorgt worden sind, brauchen nicht noch bessere Konditionen, um mehr Stabilität zu erlangen. Das sieht in den Krisenländern wie Griechenland, Spanien oder Italien zwar etwas anders aus – doch auch dort sind die strukturellen Probleme und die hohe Staatsverschuldung nicht durch Niedrigzinsen zu beheben.

Die nach wie vor nicht befriedigend beantwortete Frage bleibt, wie weit Europa nach der wirtschaftlichen Integration bei der politischen Union zu gehen bereit ist. Die Beschlüsse auf dem EU-Gipfel haben gezeigt, dass den Beteiligten zumindest klar ist, dass es den Weg zurück nicht mehr geben kann – er wäre der schlechtere, auch für die Wirtschaft. Der Wettbewerb der Zukunft wird nicht innerhalb Europas ausgetragen, sondern zwischen den großen Weltregionen: den USA, Asien mit China, anderen Schwellenländern wie Brasilien oder Russland und Europa. Deutschland als stärkste Wirtschaft innerhalb der weltweit größten zusammenhängenden Volkswirtschaft wird davon auf Dauer profitieren.

EZB in der Rolle als Feuerwehr

Die Europäische Zentralbank, als unabhängige Institution, hat mit ihrer Aktion vom Donnerstag gezeigt, dass sie alles tun wird, was in ihrer Macht steht, um dieses Europa zu stabilisieren. Das ist das positive Zeichen, das die Währungshüter gesetzt haben, so wie sie es seit dem Ausbruch der Krise vor fast fünf Jahren schon mehrfach getan haben. Gerade wegen ihrer Unabhängigkeit aber ist die Frage berechtigt, wie weit die EZB sich in den politischen Integrationsprozess einbinden lassen sollte.

Ist sie tatsächlich die einzige Institution, die in der Lage ist, Europas Banken zu beaufsichtigen? Möglicherweise würde durch die genaue Kenntnis der Finanzwirtschaft die eine oder andere Entscheidung, die im Sinne des großen Ganzen zu treffen wäre, zu sehr beeinflusst. Die Notenbank sollte ihre Unabhängigkeit bewahren und sich nicht zum Handlanger der Politik machen lassen. Sie hat sich in ihrer wechselnden Rolle als Mahnerin und Feuerwehr bewährt. Dadurch hat sie bewirkt, dass das System nicht zusammengebrochen ist, und sie hat der Politik die nötige Zeit verschafft, Fortschritte zu machen.