Seit dem 1. Januar gilt für Rumänen und Bulgaren die Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Dass dies eine Herausforderung für Deutschland ist, ist klar. Doch die Debatte sollte sachlicher geführt werden, meint der StZ-Redakteur Michael Maurer.

Stuttgart - Das neue Jahr ist kaum ein paar Tage alt, da hat sich dieses Land bereits wieder heillos in eine jener Debatten verstrickt, von denen man sich wünschte, sie gehörten längst der Vergangenheit an. Seitdem der irrlichternde bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und seine CSU den Stein von einer angeblich drohenden Armutseinwanderung nach Deutschland ins Wasser geworfen haben, rollt eine meterhohe Diskussionswelle durch die Republik. Unter sich begräbt sie nahezu alles, was sich an sachorientierter Argumentation entgegenstellt.

 

„Wer betrügt, der fliegt“, diese Parole hat die CSU in ein Papier für ihre Tagung in Wildbad Kreuth geschrieben, bei der sie schärfere Regeln gegen den „Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung“ beschließen will. Die Formulierung war eine gezielte Provokation – und sie erzielte die gewünschte Wirkung. Aus allen Ecken donnert der Widerspruch, bei dem es kein Halten mehr zu geben scheint. „Unstimmig und unsinnig“ sei das Ganze, eine „ekelhafte“ Doppelzüngigkeit, gar „kulturrassistisch“ und diene natürlich nur dazu, die „Lufthoheit über die Stammtische zu bekommen“: so heißt es fast unisono bei CDU, SPD, Grünen und auch bei Wissenschaftlern.

Kein massiver Ansturm erwartet

Wie sich Deutschland in diesen Tagen über eine zweifellos vorhandene, aber gar nicht neue oder unerwartete Herausforderung echauffiert, sagt viel über die Verfassung seiner Politik und seiner politischen Öffentlichkeit aus. Seit dem 1. Januar gilt auch für Bulgaren und Rumänen in Deutschland die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nach einer siebenjährigen Übergangsfrist! Dass die Bundesregierung jetzt erst einen Ausschuss einsetzen will, der sich mit den Folgen der neuen Regelung befassen soll, ist deshalb ein Armutszeugnis.

Zugegeben: die Sorge ist berechtigt, dass etliche der Zuwanderer früher oder später den deutschen Sozialsystemen zur Last fallen könnten, was bisher schon bei Menschen, die etwa mit einem Touristenvisum eingereist sind, geschehen konnte. Doch zum einen sind 2013 nur 0,6 Prozent der Hartz-IV-Leistungen an Bulgaren und Rumänen ausbezahlt worden. Zum anderen hat die Arbeitsmigration von Ost nach West bereits lange vor dem EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien begonnen, deshalb erwarten Arbeitsmarktforscher nun keinen massiven Ansturm auf Deutschland.

Chance sehen, nicht nur Gefahr

Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass die beschwichtigenden Prognosen nicht zutreffen sollten: Müsste ein Land wie Deutschland nicht in der Lage sein, diese Herausforderung gelassen und dennoch konsequent anzugehen? Ein Land, das über eine stabile demokratische Struktur verfügt, dessen Wirtschaftskraft enorm ist und das im Übrigen zum Erhalt dieser Wirtschaftskraft auch auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sein wird?

Deutschland ist zudem ein Profiteur des europäischen Binnenmarktes, zu dessen Grundregeln das Recht auf Freizügigkeit aller EU-Bürger, auch der Arbeit suchenden, gehört. Deshalb stünde es uns gut an, die Umsetzung dieses Rechts unter dem Gesichtspunkt der Chance anzugehen und nicht unter dem der Gefahr. Zumindest in der öffentlichen Debatte gelingt dies jedoch nicht. Vor allem dann nicht, wenn kühl kalkulierende Strategen solch emotionale Themen für ihre eigenen Ziele instrumentalisieren. In diesem Moment scheinen wir fast zwangsläufig in diese typisch deutsche Debatte zurückzufallen, die mehr durch hysterische Züge denn durch Souveränität gekennzeichnet ist. Und nicht jeder, der solche Erscheinungen von außen betrachtet, kann sich über diese Art von „german Angst“ lustig machen. Auf viele, die gerne dieses Land besuchen oder in ihm arbeiten würden, wirkt sie abschreckend. Es wäre deshalb an der Zeit, die „german Angst“ durch „german Selbstbewusstsein“ zu ersetzen – auch in unserem Debattenstil.