Dass bei der Kommunalwahl quer durch die Parteien angekreuzt werden darf, ist einleuchtend. Aber warum gibt es eigentlich bis zu drei Kreuze pro Kandidat zu vergeben? Das hat historische Gründe – und ist für manche vielleicht sogar nachvollziehbar.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - Kumulieren, panaschieren – das Wählen bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg ist eine Wissenschaft für sich. Als wären die Kandidatenlisten nicht schon umfangreich genug, ist es ja so, dass man jedem von ihnen bis zu drei Kreuze geben darf. Jetzt sind die meisten Wähler schon froh, auf den Listen ein paar Namen zu finden, mit denen sie etwas verbinden und sich auch vorstellen können, diese oder jene Person tatsächlich auch zu wählen.

 

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Aber kaum einer denkt wahrscheinlich: Diesen Kandidat finde ich zwar ganz gut, habe aber Vorbehalte – ihm gebe ich eine Stimme. Und der gefällt mir etwas besser, ihm gebe ich zwei oder drei. Der Großteil der Wähler, die kumulieren, wird einfach 20 Kandidaten die vollen drei seiner 60 Stimmen geben. Warum ist so ein Stimmen-Splitting also überhaupt möglich?

Das hat historische Gründe. Die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens ist im Artikel 26 Absatz 2 der Gemeindeordnung festgeschrieben. Dort heißt es im letzten Satz: „Der Wahlberechtigte kann Bewerber aus anderen Wahlvorschlägen übernehmen und einem Bewerber bis zu drei Stimmen geben.“

Immer weniger individuelle Kreuzchen

Der Politikwissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim erklärt: „In Baden-Württemberg hat der Landtag bereits Anfang der 50er-Jahre auf dieses Weise das Verhältniswahlrecht um Elemente der Persönlichkeitswahl angereichert.“ Der Grund: Man wollte den Wählern mehr Einfluss auf die Zusammensetzung des Gemeinderats geben wollen.

Die Wähler machen von den beiden Möglichkeiten in Stuttgart auch lebhaften Gebrauch. Bei der vergangenen Gemeinderatswahl haben nur 41,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler unveränderte Stimmzettel – also aufs individuelle Kreuzchensetzen verzichtet und damit panaschiert – abgegeben. Bei CDU und Grünen war der Anteil überdurchschnittlich hoch, bei den Freien Wählern und bei SÖS unterdurchschnittlich.

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Für Stuttgarter Gemeinderatswahlen lasse sich laut Brettschneider feststellen: Den Höchstwert gab es bei der Gemeinderatswahl 1975; damals wurden 70,8 Prozent der Stimmzettel verändert abgegeben. 2009 waren es dann 62, Prozent, 2014 dann 58,2 Prozent. Die Zahl der Wähler in Stuttgart, die von dem Landtagsbeschluss aus den 50ern Gebrauch macht, geht also zurück.

Man muss der Liste einer Partei nicht pauschal zustimmen

Dabei hat die Methode, so differenziert wählen zu können, in Baden-Württemberg eine besonders lange Tradition. „Viele andere Bundesländer haben diese Möglichkeit erst später in ihre Gemeindeordnungen aufgenommen“, sagt Frank Brettschneider. In Hessen ist das Wahlverfahren seit 2001 möglich, in Rheinland-Pfalz seit 1989. Bayern war ungefähr so früh wie Baden-Württemberg dran – und in der Schweiz können Wähler sogar bei der Nationalratswahl kumulieren und panaschieren.

Brettschneider hält die komplexe Vorgehensweise bei Kommunalwahlen für sinnvoll, auch wenn sie dem Wähler viel Zeit abverlangen. „Es ist eine wichtige demokratische Komponenten, um den Wählerinnen und Wählern mehr Einfluss zu geben“, sagt er. So müssten sie nicht der Liste einer Partei oder einer Wählervereinigung pauschal zustimmen, sondern sie können eigene Akzente setzen. „Und wer das nicht will, kann ja seinen Stimmzettel für eine Partei oder Wählervereinigung unverändert abgeben.“