Das Statistische Amt hat seine Analyse der Kommunalwahl in Stuttgart vom Mai vorgelegt. Eine entscheidende Rolle für den Ausgang hat das neue Auszählverfahren gespielt.

Stuttgart - Das Ergebnis der Kommunalwahl vom 25. Mai ist wesentlich von der Änderung des Auszählverfahrens bestimmt worden. Das geht aus der Wahlanalyse hervor, die das Statistische Amt der Stadt Stuttgart dieser Tage veröffentlicht hat. War bis dato die Sitzverteilung im Gemeinderat nach der d’Hondtschen Methode ermittelt worden, hatte die grün-rote Landesregierung das Zählverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers umgestellt, das kleinere Parteien und Wählergemeinschaften tendenziell bevorzugt. „Das hat diese Wahl sehr eindrücklich gezeigt“, schreibt der Kreiswahlleiter und Ordnungsbürgermeister Martin Schairer im Vorwort zu dem mit Tabellen und Grafiken bestückten knapp 100 Seiten starken Heft.

 

Statt bisher acht Parteien und Wählergemeinschaften sind im neuen Kommunalparlament insgesamt elf Gruppierungen repräsentiert – mit der Alternative für Deutschland (AfD), den Piraten, den Stadtisten und der Studentischen Liste kamen vier neue hinzu, die „Republikaner“ sind dagegen nicht mehr im Rat vertreten. Der Stuttgarter Wahlforscher und Leiter des Statistischen Amtes, Thomas Schwarz, spricht denn auch von einer „nie dagewesenen Auffächerung“ des Gemeinderats und von einer „Zersplitterung der Parteienlandschaft“. Als Beispiel für die Auswirkungen des neuen Zählverfahrens führt er die Studentische Liste an, die mit einem Stimmenanteil von 1,2 Prozent einen Stadtrat ins Rathaus entsendet – nach d’Hondt wären dafür noch 1,7 Prozent der Wählerstimmen benötigt worden.

Stadtentwicklung und Mobilität wichtigste Wahlthemen

Dass viele Wähler sich bei ihrer Entscheidung von übergeordneten Gesichtspunkten leiten lassen, zeigt eine Umfrage des Statistischen Amts vom Wahltag: Demnach gaben 26 Prozent der Befragten an, sie hätten sich bei ihrem Votum von der Bundesspolitik leiten lassen, weitere 24 Prozent orientierten sich an der Landespolitik. Nur die Hälfte der Befragten ließ sich beim Kreuzchenmachen von kommunalpolitischen Themen inspirieren.

Dabei ragten zwei Kategorien besonders heraus: 28 Prozent gaben die Stadtentwicklung als für sie wichtigstes Thema an – das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 ist allerdings demnach nur noch für 23 Prozent ausschlaggebend für ihr Wahlverhalten. 2009 hatten noch 40 Prozent der befragten Wähler angegeben, Stuttgart 21 habe ihr Abstimmungsverhalten beeinflusst. Zweites Hauptthema der Wahl war der Bereich Mobilität und Verkehr (26 Prozent).

Den etablierten Parteien stellt Schwarz unterschiedliche Zeugnisse aus. Die Grünen hätten trotz moderater Verluste von 1,3 Prozent und zweier Sitze im Gemeinderat mit 24 Prozent der Wählerstimmen und 14 Sitzen ein „respektables Ergebnis“ erzielt. Dass fast ein Viertel der Wähler ihr Kreuz bei der Ökopartei gemacht hat, zeige, dass sich die Grünen zusammen mit der CDU „mittlerweile deutlich von den anderen Parteien in ihrem Wählergewicht absetzen“ könne.

SPD, Freie Wähler und FDP konnten nicht mobilisieren

Die Christdemokraten, die mit einem Plus von zwei auf nunmehr 17 Mandate wieder die stärkste Fraktion im Rat stellen, sieht Schwarz zwar im Aufwind. Ihr Stimmenanteil von 28,3 Prozent sei allerdings noch „keine Rückkehr zu alter Stärke“.

Der SPD bescheinigt er, mit ihren nur noch neun Sitzen und einem Wähleranteil von 14,3 Prozent eines der schlechtesten Ergebnisse der Partei im Land und den größeren Städten eingefahren zu haben. Die FDP stürzte mit 5,9 Prozent auf ihr wahlhistorisch schlechtestes Resultat seit 1946 in Stuttgart ab und ist laut Schwarz damit „auf den harten Boden“ eines einstelligen Resultats zurückgeholt worden. Die Freien Wähler (7,1 Prozent) verloren ebenfalls satte 3,2 Prozent gegenüber 2009 und stellen wie die Liberalen nur noch vier Stadträte.

Die SÖS, einst als Sprachrohr der Stuttgart-21-Gegner angetreten, habe „in Anbetracht des Bedeutungsverlustes des Themas“ mit 5,4 Prozent erstaunlich gut abgeschnitten, befindet Thomas Schwarz. Die Linke wiederum profitierte bei stagnierenden Wähleranteilen von 4,5 Prozent vom neuen Sitzverteilungsverfahren und konnte um einen Sitz auf drei zulegen.

AfD für frühere SPD-Wähler besonders attraktiv

Bei der Wählerwanderung konstatiert der Statistiker Mobilisierungsdefizite bei SPD, FDP und Freien Wählern. Alle drei haben Stimmen ins Lager der Nichtwähler abgegeben. Grüne und CDU hingegen konnten von dort Stimmen hinzugewinnen. Die meisten Wählerstimmen verloren die Grünen an die SÖS, während die CDU vor allem bei der Klientel von FDP und Freien Wählern punkten konnte. Piraten, Stadtisten und Studenten schöpften ihre Stimmen überwiegend aus dem Wählerpotenzial der Grünen.

Die AfD hingegen konnte insbesondere vormalige SPD-Wähler an sich binden, gewann aber auch frühere „Republikaner“ – sowie CDU- und FDP-Unterstützer für sich.

Die Wahlbeteiligung bei der 19. Gemeinderatswahl der Nachkriegszeit markiert übrigens einen negativen Rekord: Lediglich 46,6 Prozent der wahlberechtigten Stuttgarter sind überhaupt an die Urne gegangen.