Im Kulturzentrum Merlin in Stuttgart haben sich Kommunalpolitiker und Schüler zu einem Blind Date der besonderen Art getroffen. In völliger Dunkelheit mussten die Kandidaten allein mit Argumenten überzeugen.

Stuttgart - Unsicher tastet Jitka Sklenarova mit dem Blindenstock im Foyer des Kulturzentrums umher. Eine Textilbrille nimmt ihr die Sicht. Die Kommunalwahlkandidatin der Grünen muss sich, gemeinsam mit einigen Schülern des Kepler-Gymnasiums, ein paar Minuten blind zurechtfinden. Ein Parcours zum Thema Sehbehinderung bildet den Auftakt zum Blind Date zwischen Kommunalpolitikern und potenziellen Erstwählern am Mittwochvormittag. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Stadtjugendring und dem Verein Aussicht. Der Verein bietet seit 2004 Aktivitäten im Dunkeln von sehbehinderten und blinden Menschen für Sehende an. Den Vertretern der Politik gewähren die Veranstalter an diesem Tag ganz neue Einblicke. Deborah Köngeter (Stadtisten) erfährt mehr über Blindenampeln. Valentin Gashi (Demokratie in Bewegung) muss Geldstücke ertasten und Max Mörseburg (CDU) hört erstmals, wie Blinde wählen.

 

„Politik einmal ganz auf das gesprochene Wort reduzieren“

Es folgt das eigentliche Date: 21 Schüler und sieben Politiker diskutieren im Dunkeln. Nicht nur die Raumwahrnehmung ist anders, wie Jasmin Meergans (SPD) feststellt: „Ich habe gemerkt, dass ich beim Reden die ganze Zeit gestikuliere“, bemerkt sie lachend. „Das war im Dunkeln natürlich ziemlich sinnlos.“ Luigi Pantisano (SÖS) ist baff, wie schnell eine Stunde vorüber gehen kann. Das Zeitgefühl habe sich total verändert. „Unsere Idee war es, Politik einmal ganz auf das gesprochene Wort zu reduzieren“, erklärt Lia Dietrich, Bildungsreferentin beim Stadtjugendring.

Wer in der knapp bemessenen Zeit am meisten überzeugen kann, ist schwer zu sagen. Aussicht-Mitglied Victor lobt die Sachkenntnis von Christoph Ozasek (Linke), was die Probleme mit Blindenleitlinien im Öffentlichen Nahverkehr angeht. Einige Jugendliche fühlen sich offenbar von anderen Diskussionsteilnehmern angesprochen. Lust aufs Wählen hat das Experiment jedenfalls gemacht.