Der Gemeinderat hat in der vergangenen Amtsperiode viel erreicht: Es wurden neue ökologische Stadtwerke gegründet, auch das Wassernetz soll zurückgekauft werden. Doch noch fehlen die Kunden – und auch ein umfassendes Konzept.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Es hat sich unglaublich viel getan in den vergangenen fünf Jahren in Stuttgart. Zum Zeitpunkt, als die Parteien im Frühjahr 2009 in den Kommunalwahlkampf zogen, hatte die Stadt mit der Energieversorgung quasi nichts mehr zu tun – seither hat der Gemeinderat einmütig entschieden, das Wassernetz zurückzukaufen (Mai 2009), eigene Stadtwerke zu gründen (Mai 2011), beim Vertrieb auf den Ökostrom der Elektrizitätswerke Schönau zu setzen (Februar 2012) und das Strom- und Gasnetz an Stadtwerke und EnBW zu vergeben (März 2014). Zur kommunalen Daseinsvorsorge gehört für Stuttgart der Energiebereich plötzlich wieder eindeutig dazu.

 

Diese Entwicklung ist im Prinzip von allen Parteien mit getragen worden. Unterschiede gibt es dennoch. Die CDU, die FDP und die Freien Wähler setzen weiterhin großes Vertrauen in die EnBW und sind froh, dass sich der Energiekonzern bei den Netzen gemeinsam mit den Stadtwerken durchsetzen konnte. Die SÖS/Linke ist radikal gegen die EnBW und hat als einzige Fraktion der Vergabe von Strom- und Gasnetz nicht zugestimmt.

Das Feindbild EnBW ist bei den Grünen verblasst

SPD und Grüne vertreten eine Mittelposition. Sie sind der Meinung, dass die Stadtwerke in der Anfangsphase einen starken Partner brauchen, zumindest bei den Netzen. Lange hatte die SPD daran geknabbert, dass sie 2002 ebenfalls dem Verkauf der Energieaktien zugestimmt hatte, denn längst sieht man dies bei den Genossen als Fehler. Auch die Grünen haben in den vergangenen fünf Jahren ihre Ansichten deutlich geändert. Noch 2009 hätte die Ökopartei niemals akzeptiert, dass die EnBW als Atomkraftkonzern ein Partner der Stadtwerke wird; jetzt hat sie genau dies bei den Netzen getan. Seit dem beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie, und vielleicht auch, seit die EnBW ganz in öffentlicher Hand liegt, ist das Verhältnis zur EnBW deutlich entspannter.

Vieles ist also seit der letzten Kommunalwahl angeschoben worden – doch im Energiebereich muss man dicke Bretter bohren. So ist die Stadt beim Rückkauf des Wassernetzes kaum vorangekommen. Bei den Verhandlungen über den Kaufpreis können sich Stadt und EnBW nicht einigen – jetzt sieht man sich vor Gericht wieder. Angeblich soll im Juli dieses Jahres der erste Termin anstehen.

Wer künftig in Stuttgart das Fernwärmenetz betreibt, ist ebenfalls völlig offen. Die EnBW bestreitet sogar, dass die Stadt überhaupt das Recht hat, die Fernwärme-Konzession an einen Dritten zu vergeben. Jetzt hoffen aber viele, dass nach der Einigung bei Strom- und Gasnetz die Positionen aufweichen und sich Stadt und EnBW annähern.

OB Kuhn will bis zum Jahresende ein Energiekonzept vorlegen

Auch die Stadtwerke Stuttgart mussten in ihren jungen Jahren schon manchen Dämpfer hinnehmen. So hatte man beim Vertriebsstart im Februar 2013 gehofft, binnen eines Jahres 30 000 Strom- und Gaskunden zu gewinnen – bisher sind es allerdings erst 7000. Auch das Ziel, bis zum Jahr 2020 alle 300 000 Stuttgarter Haushalte mit Ökostrom aus eigener Erzeugung versorgen zu können, ist sehr ambitioniert. Derzeit erzeugen die 14 Windkraftanlagen Strom für 21 000 Haushalte. Aber immerhin: Mit vielen Millionen Euro haben sich die Stadtwerke auf Einkaufstour begeben, um bei der Erzeugung voranzukommen.

Dringend ist nun aber ein Gesamtkonzept für Stuttgart erforderlich, in dem die Komponenten der Energiewende – Erzeugung, Vertrieb, Netzbetrieb, Einsparung und Effizienzsteigerung – zusammengeführt und klare Ziele benannt werden. OB Fritz Kuhn (Grüne) hat dieses Konzept für das Jahresende 2014 angekündigt, was spät genug ist. Zwei Jahre der Amtszeit sind dann vorbei. Um allein die Ziele zu erreichen, die die grün-rote Landesregierung vorgegeben hat, müssten in Stuttgart alle an einem Strang ziehen und Vollgas geben.

In einem solchen Konzept muss es auch um Einsparungen im Wärmebereich gehen – um den Energiebedarf zu verringern, müssten zum Beispiel sehr viel mehr Häuser als bisher neu gedämmt werden. Und auch der Verkehr sollte im Energiekonzept eine Rolle spielen, da Klimaschutz und Elektromobilität zahlreiche Verbindungen zum Thema Energie haben. Wie auch immer also der neue Gemeinderat zusammengesetzt sein wird: Er wird im Energiebereich alle Hände voll zu tun haben.

Kommunalomat zur Wahl in Stuttgart

Was die Grünen zum Thema Energiepolitik sagen

Die Energiewende soll nach Auffassung der Grünen mit starken kommunalen Stuttgarter Stadtwerken (SWS) fortgeführt werden. Dazu müsse in nachhaltige Energieerzeugung und intelligente Netze investiert werden. Die Stadt selbst gehe mit gutem Beispiel voran und bezieht zum Beispiel 100 Prozent Ökostrom.

Auch beim Contracting für städtische Immobilien sei Stuttgart führend in Europa und „leuchtendes Beispiel“. Aber die Partei will nicht, dass die Stadt sich darauf ausruht. „Wir müssen mehr machen, insbesondere bei den privaten Haushalten“, erklärt die Partei. So wolle man insbesondere in der Energieeffizienz und der Energieeinsparung mehr tun, um den Verbrauch von Energie dauerhaft zu senken. Mit Stadt, SWS und Energieberatungszentrum (EBZ) sollen die Stuttgarter Häuser fit für die Zukunft gemacht werden, unter anderem durch mehr Förderungen und Beratungen bei Sanierungen. Der positive Nebeneffekt aus Sicht der Grünen: Dies fördere auch das lokale Handwerk.

Was die CDU zum Thema Energiepolitik sagt

Zentrales Anliegen der Christdemokraten ist die Versorgungssicherheit der Bürger mit Energie. Bei der gerade getroffenen Entscheidung über die Vergabe der Konzessionen für die Energieversorgung sei das von der CDU favorisierte Kooperationsmodell umgesetzt worden: „Hier steht unseren jungen Stadtwerken mit der EnBW ein erfahrener und starker Partner zu Seite“, so lautet die Überzeugung der CDU. Dies garantiere die Versorgungssicherheit für alle. Auch die Rolle der Stadtwerke werde dadurch noch weiter ausgebaut.

Die CDU wünscht sicht, dass möglichst viele Kunden zu den Stadtwerken Stuttgart wechseln, um so den Energiebezug aus regenerativen Energien insgesamt zu erhöhen. Den Beitrag einer Großstadt wie Stuttgart zur Energiewende sieht die Partei vor allem im Bereich Solarenergiegewinnung und Energieeffizienz. Deshalb müssten die Fotovoltaik-Anlagen auf Stuttgarts Dächern ausgebaut werden; zudem bedürfe es eines verstärkten Engagements bei der energetischen Gebäudesanierung.

Was die SPD zum Thema Energiepolitik sagt

Für die Sozialdemokraten ist die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Strom und Wärme eine ureigene kommunale Aufgabe. Die SPD reklamiert das Urheberrecht an der Gründung der Stadtwerke Stuttgart für sich: „Wir sind stolz darauf, dass es auf unseren Vorschlag hin seit eineinhalb Jahren wieder ein kommunales Stuttgarter Stadtwerk gibt, das zum 1. Januar 2014 auch zu drei Vierteln Eigentümer unserer Strom- und Gasnetze ist.“

Für die Zukunft sei es wichtig, mit den Stadtwerken ein Energiekonzept für Stuttgart zu entwickeln und umzusetzen. Stuttgart müsse möglichst vollständig auf eine langfristig tragbare Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen umstellen. Dabei setzt die sozialdemokratische Partei auf den Einsatz von dezentralen, kleineren Einheiten mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und Nah- und Fernwärmenetzen. Wichtig ist der SPD aber auch eines: „Wasser, Strom und Wärme müssen gerecht finanziert und für alle bezahlbar bleiben.“

Was die Freien Wähler zum Thema Energiepolitik sagen

Auch für die Freien Wähler steht wie für die CDU die Versorgungssicherheit mit Gas, Wasser und Strom für Bürger und für die Wirtschaft im Vordergrund. Die Konzessionsvergabe an die vorgeschlagene Betreibergesellschaft aus Stadtwerken Stuttgart und EnBW halten sie deshalb für am besten geeignet, um die Bedürfnisse der Stadt Stuttgart für die Versorgung mit Energie in den Jahren 2014 bis 2034 zu erfüllen.

Die Kooperation mit der EnBW gebe den Stadtwerken Stuttgart die notwendige Übergangszeit, um sich auf diese große Aufgabe vorzubereiten und um das notwendige Personal einzustellen und zu schulen: „Mit dieser neuen Konstellation ist die Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität des Netzbetriebs gewährleistet“, sagen die Freien Wähler und fügen hinzu: „Verbraucherfreundlichkeit wird erwartet, auf Preisgünstigkeit kann gehofft werden.“ Weitergehende Vorstellungen zum Thema Energiepolitik haben die Freien Wähler nicht in ihrem Programm für die Stuttgarter Gemeinderatswahl.

Was die FDP zum Thema Energiepolitik sagt

Die FDP plädiert für ein vernünftiges Vorgehen beim Umweltschutz. „Nicht alles, was sich gut anhört, hilft wirklich, die natürlichen Ressourcen zu schützen und zu schonen“, so die Liberalen. Sich selbst sieht die Partei dabei als die „Stimme der Vernunft“, die in einer der wirtschaftsstärksten Regionen Deutschlands dem Umweltschutz zur Geltung verhelfen wolle, ohne die anderen Anforderungen aus ideologischen Gründen aus den Augen zu verlieren.

Im einzelnen plädiert die FDP für den Ausbau der regenerativen Energien wie Fotovoltaik, Solar- und Wasserenergie, Biomasse und Geothermie. Windkraft dagegen sei mangels geeigneter Standorte nicht nutzbar. Darüber hinaus seien die Förderrichtlinien des kommunalen Energiesparprogramms auch auf niederschwellige Angebote auszurichten, um die energetische Sanierung des Gebäudebestandes in der Breite zu forcieren. Die Stadtwerke sehen die Liberalen weiter skeptisch: Es sei nicht Aufgabe der Stadt, „mit Steuergeldern Unternehmer zu spielen“.

Was SÖS/Linke zum Thema Energiepolitik sagen

Die SÖS will Stuttgart zur CO2-neutralen Stadt machen. Die Stadt müsse Investitionen in Effizienz und Energieeinsparung unterstützen, Kraftwärmekopplung und Nahwärmenetze ausbauen. Die SÖS, die sich seit Jahren für kommunale Stadtwerke stark gemacht hat, kritisiert die Entscheidung, die Konzessionen zur Strom- und Gasversorgung an das Kooperationsmodell EnBW/Stadtwerke zu vergeben und will die Kooperation baldmöglichst aufkündigen. 100 Millionen Euro aus der S-21-Finanzierung sollen in ein sozialökologisches Konjunkturprogramm fließen.

Die Linke macht „den Atomkonzern EnBW“ für den Anstieg der Energiekosten in den vergangenen Jahren verantwortlich. Die Ratsmehrheit habe nun für weitere 20 Jahre der EnBW einen direkten Einfluss auf die Versorgungsnetze gegeben. Die Linke will dagegen rein kommunale Stadtwerke, ein Investitionsprogramm in Solar- und Windenergieanlagen in der Region und ein verbindliches Nachhaltigkeitskonzept. Dazu soll ein Energienutzungsplan entstehen.