Nach der schweren Wahlschlappe der SPD in Stuttgart beginnt die Aufarbeitung. Kritiker fordern ein moderneres Image, eine Reform der Kreispartei und das Ende der Flügelkämpfe.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Die Stuttgarter SPD steckt in der Abwärtsspirale. Seit der Kommunalwahl 1980 haben die Sozialdemokraten immer nur Stimmen verloren. Damals lag ihr Anteil noch bei 36,5 Prozent, das aktuelle Stimmzettelergebnis weist gerade noch 14,1 Prozent aus – so wenig wie noch nie. Eine der Hauptursachen dieser Misere, sagen viele, sei die Zerstrittenheit der Partei. Nur wenn sich diese in der Landeshauptstadt zusammenraufe, könne eine Neuausrichtung gelingen. Die Ausgangslage wird zunehmend schwieriger.

 

„Wir sind in einem richtigen Tief“, sagt Martin Körner, der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei der Gemeinderatswahl. Schon in der Analyse der Kommunalwahl 2009 hatte das Statistische Amt der Stadt in Bezug auf das SPD-Ergebnis von 17 Prozent festgestellt, dieses habe „kommunalpolitische Ursachen“. Auch vor fünf Jahren lagen die Stuttgarter Sozialdemokraten mit ihrem Ergebnis schon merklich unter dem ihrer Partei bei der Europawahl, aber dieses Mal ist der Abstand noch größer. Gewiss hatte dies vor fünf Jahren viel mit Stuttgart 21 zu tun. Aber dies reicht nun als Erklärung nicht mehr aus.

Körner: SPD braucht ein modernes Image

Ansätze einer Problembeschreibung liegen durchaus vor. Weil die SPD heute nur noch die Nummer drei im Rat ist, habe sich wie bei der OB-Wahl gezeigt: „In dem Spiel – hier die Grünen, da die CDU – kommen wir nicht mehr vor“, klagt Martin Körner. Und nicht nur das. „Im rot-grünen Lager werden die Grünen als stärker eingeschätzt – wir haben bei den Leuten ein Verliererimage.“ Die SPD musste feststellen, dass sie die städtischen Milieus, aus denen die Grünen ihre Stimmen schöpfen, nicht erreicht. So kamen die Statistiker schon 2009 zu dem Schluss, dass die Neigung, SPD zu wählen, mit der Höhe des Schulabschlusses abnehme. Und die Sozialdemokraten hätten „insbesondere bei den Facharbeitern eine niedrige Resonanz“.

Deshalb ist Martin Körner überzeugt, dass die SPD sich um ein moderneres Image bemühen muss, ihr Profil auch beim Kernanliegen soziale Stadt schärfen und dieses erweitern sollte. Man müsse sich auch um das Lebensgefühl der Menschen in der Stadt kümmern, um die Frage der Urbanität, um mehr Emotionalität in der Eigendarstellung. „Wir beschäftigen uns zu viel mit uns selbst und zu wenig mit der Stadtgesellschaft“, kritisiert Körner.

Klage über die Zerwürfnisse innerhalb der Partei

„Die SPD in Stuttgart muss sich neu erfinden“, sagt der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling. „Nur wie? Das weiß keiner.“ Auf jeden Fall sollten sich die Sozialdemokraten „stärker bürgerlich profilieren“, glaubt Wehling, in den Zeiten ihrer größten Erfolge sei dies so gewesen. Und weil viele Themen der SPD auch die anderen Parteien im Angebot hätten, müssten die Sozialdemokraten „ein Alleinstellungsmerkmal entwickeln“.

Wie dies auf keinen Fall gelingen kann, glaubt Harald Raß zu wissen. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Regionalparlament schaut mit Sorge auf die Genossen in Stuttgart. „Die Zerwürfnisse schwächen die Partei massiv“, sagt der Sozialdemokrat aus Fellbach. In wesentlichen Fragen sei sich die Partei nicht einig, Stuttgart 21 und der Rosensteintunnel als Hauptstreitthemen lediglich der Kulminationspunkt dieser Konflikte, sagt Raß. „Die Attraktivität für den Wähler leidet darunter massiv.“ Wer dies zu verantworten hat, ist für Raß ausgemacht: „Es sind die Minderheiten, die keine Ruhe geben und gefasste Beschlüsse aktiv konterkarieren.“

Hier scheint ein Grundproblem der SPD Stuttgart auf: der Konflikt zwischen Fraktion und Kreispartei. „Die Partei sollte sich realistischer verhalten und das, was im Rathaus geschieht, auch kommunizieren“, kritisiert der scheidende Stadtrat Manfred Kanzleiter. Andernfalls geschehe weiter, dass man Erfolge – etwa die Bildung von Stadtwerken, die auf eine Initiative der SPD zurückgeht – zu Misserfolgen mache, weil man nur einen Kompromiss erreicht habe. Und Kanzleiter ist nicht der Einzige, der Veränderungen der Parteiorganisation anmahnt. So sei „die mangelnde Kampagnenfähigkeit vieler Ortsvereine, die personell schwach auf der Brust sind, ein Problem“. Das klingt nach einer notwendigen Reform der Kreispartei.

„Die Stuttgarter SPD hat einen langen Weg vor sich“, glaubt Harald Raß. „Die Frage ist nur, ob das auch alle begriffen haben.“