In Stuttgart hat offenbar der gesamte Stadtbezirk Seelberg in Bad Cannstatt keine Wahlunterlagen erhalten. Betroffene berichten von tumultartigen Szenen und Wählern, die daraufhin auf die Kommunalwahl verzichteten. Eine Wählerin kündigte an, rechtliche Schritte einzuleiten.

Stuttgart - Bei der Dreifachwahl am Sonntag hat es etliche Pleiten, Pech und Pannen gegeben. So haben offenbar der komplette Stadtbezirk Seelberg und die gesamte Nürnberger Straße keine Wahlunterlagen erhalten. Die Folge waren tumultartige Szenen im Wahllokal, verzweifelte Wähler, überforderte Wahlhelfer und lange Schlangen. Auch andernorts. Viele Wahllokale mussten länger als 18 Uhr öffnen, um allen pünktlich gekommenen Wählern die Wahl zu ermöglichen, wie Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) unserer Zeitung bestätigte. Thomas Schwarz, der Leiter des Statistischen Amts der Stadt Stuttgart, geht von einer einer „niedrigen dreistelligen Zahl“ an Wählern aus, die keine Unterlagen erhalten haben. Eine Bürgerin will die Kommunalwahl anfechten.

 

Wählerin: Die Leute waren empört

„Es war ein einziges Chaos“, berichtet eine Wählerin aus der Taubenheimstraße in Bad Cannstatt. Nicht nur sie, sondern auch viele ihrer Nachbarn seien über den Umfang der Wahlunterlagen überrascht gewesen und darüber, dass diese normalerweise an jeden Wähler verschickt hätte werden sollen. „Im Wahllokal gab es Proteste und Durcheinander, weil alle Betroffenen sich außerstande sahen, unter fast tausend Personen, die in klein geschriebener Schrift auf seitenlangen Listen standen, unvorbereitet sinnvoll auszuwählen.“ So sei es auch ihr und ihrem Mann gegangen, und für alte und zugewanderte Menschen sei das noch schwieriger gewesen. „Ich konnte nicht wählen“, berichtet die Wählerin, „etliche Leute gingen unverrichteter Dinge wieder“. Sie selber und ihr Mann hätten deshalb nur ihre Kreuze bei Europa- und Regionalwahl gemacht und auf die Kommunalwahl verzichtet. „Die Kenntnis der Unterlagen war unerlässlich, weil ohne Vorbereitung eine gezielte Wahl unmöglich war“, erklärt sie. Ein älterer Herr sei so genervt gewesen, weil er die dicken Kommunalwahllisten nicht in den Umschlag zwingen konnte, dass er den Block direkt in die Urne schmeißen wollte – was die Wahlhelfer nicht zuließen. „Die Leute waren empört“, berichtet die Wählerin. Sie findet: „Es ist nicht demokratisch – wir erwägen deshalb Rechtsschritte zu unternehmen“.

Nicht nur in Seelberg Wartezeiten

Bürgermeister Schairer erklärte auf Anfrage: „Wir gehen sofort in die Ursachenforschung.“ Er betonte aber: „Bei uns war die Datenlieferung vollständig.“ Man habe jetzt einen Prüfauftrag an die Deutsche Post gegeben. „Wir wussten nichts davon, kein Mensch hat uns was gesagt“, so Schairer. Vielen Betroffenen sei das erst am Wahlsonntag aufgefallen. Der Bürgermeister räumt allerdings ein, nicht nur im Seelberg habe es dadurch Wartezeiten bis zu einer Stunde gegeben, sondern auch in anderen Wahllokalen hätten die Wähler viel Geduld aufbringen müssen, etwa in der Hohenheimer Straße. Dadurch sei es auch zu Verzögerungen bei der Auszählung gekommen. Schairer hält das aber nicht für ein Stuttgarter Phänomen: „Schlangen gab’s wohl im ganzen Land.“ Grund sei neben der hohen Wahlbeteiligung auch die Dreifachwahl. Und: „Wir haben einen Rekord an Parteien – diese Kumuliererei und Panaschiererei hat man halt sonst nicht.“