Lediglich SPD und CDU haben vom Wahlverhalten der EU-Bürger und der eingebürgerten Migranten nennenswert profitiert. Auf den Wahllisten der Parteien sind die Migranten auch noch unterrepräsentiert.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Bei der Kommunalwahl sind so viele Bürger wahlberechtigt wie noch nie. Ein Hauptgrund dafür: der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, die wählen dürfen, ist merklich gestiegen. Von den 440 000 Wahlberechtigten sind 138 000 Migranten oder Nachkommen von solchen, das sind erstmals mehr als 30 Prozent. Das ist ein Rekordwert. Dass sich diese Vielfalt der Stadtbevölkerung möglichst auch auf den Kandidatenlisten abbilden sollte, ist im Grunde die Meinung aller Parteien. Die meisten können auch einige Kandidaten mit Migrationshintergrund vorweisen, auf den Listen sind diese allerdings mehr oder weniger gut platziert.

 

Die Grünen bringen es von den 60 Bewerbern auf acht mit Migrationshintergrund. Ob das für die Partei, der Integrationspolitik seit jeher ein Herzensanliegen war, viel ist oder wenig, diese Frage findet Vittorio Lazaridis nicht zentral. „Es kommt auf die Qualität der Kandidaten an und wie weit vorne sie gesetzt sind“, findet Lazaridis, der einen griechischen (vom Vater her) und einen italienischen (durch die Mutter), aber keinen deutschen Pass hat. Er kandidiert auf Platz sechs. Eine Quote gab es bei der Aufstellung der Liste nicht, man habe in den eigenen Reihen aber „genügend profilierte Migranten“. Doch einen großen Effekt hat das für die Partei nicht. Eine Auswertung der Kommunalwahl 2009 durch das Statistische Amt der Stadt ergab, dass nur etwa acht Prozent der Grünen-Wähler Migranten sind, weniger als bei der FDP (neun Prozent). Noch weniger sind es nur bei den Freien Wählern (vier Prozent). Die CDU hat es auf zwölf Prozent Migrantenanteil unter ihren Unterstützern gebracht.

Am besten schneidet die SPD ab, die einen Migrantenanteil unter ihren Wählern von 18 Prozent hat und sowohl bei den Unionsbürgern als auch bei den Eingebürgerten gegenüber den anderen Parteien deutlich vorne liegt. Die Sozialdemokraten sind denn auch „gezielt“ auf Migranten zugegangen, um sie für ihre aktuelle Liste zu gewinnen, sagt der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc, dessen Eltern als Gastarbeiter aus dem früheren Jugoslawien nach Deutschland kamen. Zwölf Kandidaten mit Migrationshintergrund stehen auf der SPD-Liste. Die Sozialdemokraten haben auch ihre Wahlwerbung in Teilen auf diese Zielgruppe abgestimmt, durch mehrsprachige Wahlaufrufe und einen speziellen Facebook-Auftritt. Ein Grund dafür, dass die SPD überdurchschnittlich von Migranten gewählt wird, dürfte die Nähe der Partei zu den Gewerkschaften sein. Auffallend ist, dass die SPD bei eingebürgerten Türken gut ankommt, die etwa die CDU meiden.

Russlanddeutsche neigen traditionell eher zur Union

Dass die CDU bei der Gruppe der Migranten dennoch einen nennenswerten Stimmenanteil erzielt, ist wahrscheinlich auf den religiösen Hintergrund der aus Süd- oder Osteuropa stammenden Menschen zurückzuführen. Und die Gruppe der Russlanddeutschen neigt traditionell mehrheitlich zur Union. Zehn Personen mit Migrationshintergrund hat die CDU auf ihrer Liste. Anastasios Bakirtzidis, der auf Platz 20 kandidiert und dessen Familie aus Griechenland stammt, will auch türkischstämmige Menschen für die Partei gewinnen, was nicht einfach sei, sagt der 35-Jährige. Grundsätzlich sei ein Hauptproblem, dass viele wahlberechtigte Migranten „immer noch nicht wissen, dass sie wählen dürfen“.

Sibel Yüksel, deren Großvater aus der Türkei nach Deutschland einwanderte, hat es auf Platz drei der FDP-Liste geschafft. Wie viele Migranten auf der Liste stehen, kann sie gar nicht sagen, nur bei dreien ist sie sich sicher. Den Namen nach zu urteilen, sind es insgesamt sechs. Die 42-Jährige sieht neben den Parteien „genauso die Migranten gefordert, die sich stärker ehrenamtlich engagieren sollten“.

Bei der Linken scheint das so zu sein. „Bei uns sind rund 20 Prozent der Kandidaten auf der Liste Menschen mit Migrationshintergrund“, sagt Stadtrat Thomas Adler. Dieser Anteil ergebe sich „naturwüchsig“ aus der Tatsache, dass die Partei etwa mit Mieterinitiativen und Gewerkschaften politisch zusammenarbeite. „Da sind immer auch Migranten dabei.“ Das gilt auch für die SÖS, einem Bündnis mehrerer Bürgerinitiativen. Auf deren Liste finden sich neun Migranten, sieben davon sind unter den ersten 20 platziert. Auch die SÖS müsse in diesem Bereich „noch viel machen“, sagt Luigi Pantisano, der auf Platz drei kandidiert. Vor allem ein starker italienischer Verein im Verbund habe, „mehrere Kandidaten nominiert“.

Schlusslicht mit nur zwei Kandidaten mit Migrationshintergrund sind die Freien Wähler. „Das ist ausbaufähig“, sagt Michael Schade vom Kreisvorstand. Für einen kleinen Kreisverband wie die FWV mit einem Schwerpunkt bei den Selbstständigen sei dies aber nicht so einfach.

Auf die Ergebnisse hat das Wahlverhalten von Migranten bisher nur „geringe Auswirkungen“ gehabt, stellte das Statistische Amt fest. Lediglich SPD und CDU hätten „leicht profitiert“. Insgesamt ist die Wahlbeteiligung der Migranten gering. 2009 machten sie 27 Prozent der Wahlberechtigten aus, aber nur elf Prozent der Wähler. Bei den Unionsbürgern lag die Beteiligung bei nur 15 Prozent, das ist noch weniger als bei den eingebürgerten Migranten.

Kommunalomat zur Wahl in Stuttgart