Vatan Ukaj von der Landeszentrale für politische Bildung und Semir Duman vom Stuttgarter Jugendrat haben sich vor den Wahlen im vergangenen Jahr mächtig reingehängt für ihr Ziel: möglichst viele Erstwähler an die Wahlurnen zu bringen am 26. Mai 2019.

Stuttgart - Manchmal ist der Ertrag der Arbeit nicht in Geld zu bemessen und nicht in prozentualen Zuwächsen. Und trotzdem lohnt sich die Sache. Wie der Aufwand, den Semir Duman betrieben hat, um Altersgenossen an die Wahlurnen zu holen.

 

Der 17-Jährige aus Weilimdorf – Schülersprecher am Wagenburggymnasium und einer der drei Sprecher des Stuttgarter Jugendrats – hat sich vor den Wahlen im Mai sehr reingehängt, hat drei große Veranstaltungen vorbereitet und realisiert. Er hat sich um Speeddating gekümmert, Schüler für ein kurzes Aufeinandertreffen mit Kandidaten zusammengebracht. Er hat viel Freizeit geopfert und stets den richtigen Dreh gesucht, Erstwahlberechtigten den Sinn des Wählens plausibel zu machen. Und ihnen einzuschärfen: Wählen darf man nicht überall. Wer die Chance hat, soll sie nützen. Wer es nicht tut, hat nicht das Recht, nachher über die politischen Verhältnisse zu schimpfen.

Ein Beauftragter für mehr Wahlbeteiligung könnte helfen

Bei der Kommunalwahl dürfen auch schon 16-Jährige mitmachen, nicht nur die mindestens 18-Jährigen wie bei der Europawahl oder der Bundestagswahl. Rund 530 000 Neulinge gab es im Land. Wie viele es in Stuttgart waren und wie viele tatsächlich vom Wahlrecht Gebrauch machten, weiß man nicht. Aber Duman wurde von Gesprächspartnern immer wieder bestätigt, dass er sie zur Wahl lotste. Der junge Mann ahnt aber auch: „Wir haben wahrscheinlich nur an der Oberfläche gekratzt.“

Die ehrenamtlich tätigen Jugendräte konzentrierten sich auf die Schulen. Doch man könne nicht alle von ihnen abdecken, sagt Duman. Die Stadt Stuttgart wäre gut beraten, einen hauptamtlichen Kümmerer anzustellen. Nicht nur mit Blick auf die Erstwähler, sondern generell für das Ankurbeln der Wahlbeteiligung. „Es sollte in Stuttgart einen hauptamtlichen Wahlbeteiligungsbeauftragten geben, so wie eine Fahrradbeauftragte.“ Der Stadt fehle es ja nicht an Geld. Und die Menschen zur Wahl zu holen, sei viel Wert. Je früher sie angesprochen würden, desto eher seien sie als ständige Wähler zu gewinnen. Am besten funktioniert das, wenn man das Verständnis dafür weckt, dass man von einer Wahl und von der späteren Amtsausübung der Gewählten betroffen ist.

Noch mehr könnte über die sozialen Medien laufen

Bei den jungen Menschen geht es da stark um die Schulgebäude, um die Ausstattung mit Lehrmitteln und den Zustand der Schultoiletten. Um den öffentlichen Nahverkehr und dessen Preise, um die Verfügbarkeit von WLan in Schule und Stadt. Das Werben fürs Wählen sollte nach Dumans Geschmack noch stärker über die sozialen Medien laufen. „Einfach eine Homepage im Internet, das reicht nicht“, sagt er, „da geht keiner freiwillig drauf.“ Da brauche es Instagram.

Einer mit ähnlichen Erfahrungen ist Vatan Ukaj (30), der im Mai als Fachreferent Stabsstelle Erstwählerkampagne bei der Landeszentrale für politische Bildung arbeitete. Die Kampagne, vom Land finanziert, lebte nicht nur von Schulveranstaltungen, sondern auch von der Vernetzung mit Organisationen wie Landesjugendring, Kreisjugendringen, Jugendfeuerwehr, Landesschülerbeirat, Kirchen und Kommunen. Sechs Mitarbeiter mit Werkverträgen wurden für die Landeszentrale tätig, landesweit arbeiteten aber auch 150 freie Mitarbeiter für über 400 Veranstaltungen. Das Speeddating war das Highlight, sagt Ukaj. Zu den Formaten zählten aber auch Planspiele, bei denen politische Entscheidungen durchgespielt wurden, oder Bildertheater. In manchen Gemeinden, wo die Kampagne sonst nicht hätte präsent sein können, behalf man sich mit Kinowerbung. Wo immer es ging, habe man versucht, lokale Bündnisse für die Wahlwerbung anzustoßen, die weiterwirken, sagt Ukaj. Mit der Resonanz sei man sehr zufrieden. Das ist nicht nur ein Bauchgefühl. Die Uni Göttingen hat 40 Veranstaltungen begleitet, vorher und nachher nachgefragt. Demnach gingen 63,8 Prozent der wahlberechtigten Schüler tatsächlich wählen. Und aus der Gruppe gaben 60,4 Prozent an, die Veranstaltung habe ihnen geholfen. Die Formate will man weiterentwickeln, und Ukaj hält es für wünschenswert, „auch bei Sportverbänden noch besser reinzukommen“. Mehr Geld wäre hilfreich. Die 500 000 Euro vom Land, die man hatte, entsprachen knapp einem Euro pro Zielperson. Weitere Institutionen hätten im Mai Bedarf an Veranstaltungen gemeldet, sagt Ukaj. Nach dem Motto: Wenn nicht jetzt etwas für Demokratie und Wahlteilnahme tun, wann dann?

Irgendwie werden künftig wohl auch Ukaj und Duman wieder dabei sein. Obwohl der eine sich beruflich verändert, der andere ein Duales Studium und eine Ausbildung beginnen will. Aber beide brennen für die Materie. Und Erstwahlberechtigte müssen immer überzeugt werden, sagt Duman. „Es rücken ja ständig welche nach.“