Radler, Autofahrer und die Nutzer von Bus und Bahn wollen in der Stadt zügig vorankommen. Doch die Verkehrsnetze stoßen an ihre Grenzen. Die Erwartungen an den neuen Gemeinderat sind groß.
Radfahrer fühlen sich noch nicht so richtig ernst genommen, Autofahrer ohnehin gegängelt und Nahverkehrsnutzer in Stuttgart müssen – so sie die S-Bahn frequentieren – von einer gewissen Leidensfähigkeit sein. Stimmen all diese Befunde? In der sogenannten Stuttgart-Umfrage des Rathauses aus dem vergangenen Jahr waren 41 Prozent der Befragten mit der Situation für Radfahrer unzufrieden oder sehr unzufrieden. Die Parkplatzsituation in der Innenstadt bewerteten 55 Prozent negativ. Unzufrieden oder sehr unzufrieden mit dem Öffentlichen Personennahverkehr waren hingegen in Summe nur zwölf Prozent.
Was wünschen sich Vertreter der verschiedenen Verkehrsteilnehmer vom neuen Gemeinderat? Wo soll die Rathaus-Politik ansetzen und was ist in den zurückliegenden Jahren gelungen und was daneben gegangen?
Nahverkehr Wolfgang Staiger, Vorsitzender des Regionalverbands Stuttgart des Fahrgastverbands Pro Bahn, sieht Licht und Schatten beim Nahverkehr in der Landeshauptstadt. „Mit dem weiteren Ausbau des Stadtbahnnetzes und der S-Bahn verfolgt die Verkehrspolitik der Stadt zwar grundsätzlich ein richtiges Ziel, wenn auch nicht schnell und konsequent genug“. Es sei zudem falsch gewesen, das Straßennetz so auszubauen, dass es weiterhin attraktiv sei, mit dem Auto in die Stadt zu fahren. „Der neue Gemeinderat sollte einen klaren Schwerpunkt auf den Ausbau des ÖPNV mit attraktiven Tarifen auch für gelegentliche Nutzer setzen“. Letzteres dürfte auf die jüngsten Preissteigerungen beim Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) gemünzt sein, bei dem es die Fahrgäste, die ohne Abonnement unterwegs sind, besonders hart getroffen hat. Staiger fordert vom Gemeinderat eine Initiative zur besseren Verkehrssteuerung, die dem Nahverkehr Vorrang einräumt.
Fahrrad Tobias Willerding, Stuttgarter Kreisvorsitzender des Allgemeinden Deutschen Fahrradclubs (ADFC) moniert das schleppende Tempo, in dem sich Verbesserungen für den Radverkehr in Stuttgart einstellten. Zwar sei die Verkehrspolitik der zurückliegenden Jahre nicht schlecht gewesen. „Für den Radverkehr sind viele wichtige Beschlüsse zusammengekommen. Leider wurde erst mit dem aktuellen Doppelhaushalt das dafür notwendige Personal in der Stadtverwaltung beschlossen, weswegen die Bauausführung viele Jahre hinterher hängt“. Ein großes Ärgernis in der Stuttgarter Radszene sind blockierte Radwege. „Beim Thema Falschparken hätte der Gemeinderat deutlich mehr erreichen können“. Willerding schreibt dem nächsten Gemeinderat ins Stammbuch, sich stärker um den Umbau der Verkehrswege in der Stadt zu kümmern. „Aus meiner Sicht sollte der neue Gemeinderat den Umbau der B 14 sowie des Cityrings in der Innenstadt zügig vorantreiben“. In diesem Bereich seien die Fortschritte bislang „überschaubar“ gewesen. Auch wenn der städtebauliche Wettbewerb zum Umbau der Verkehrsschneise zwischen Mineralbädern und Marienplatz bereits vor knapp vier Jahren entschieden worden ist, zeigt sich die Straße weiterhin im gewohnten Zustand.
Willerding fordert mehr Aufmerksamkeit für die Belange der Radfahrer ein. Um den von OB Frank Nopper (CDU) angestrebten Mobilitätsfrieden in der Stadt auch wirklich zu erreichen, müssten „der Gemeinderat sowie die Verwaltung den Radverkehr endlich ernst nehmen“.
Automobil Aus Sicht des ADAC fehlt es in Stuttgart an einer Gesamtstrategie für den Autoverkehr. Vor allem im Hinblick auf die zahlreichen (Groß-)Baustellen „ist der Frust der Verkehrsteilnehmer riesig“, ist Holger Bach, Abteilungsleiter für Verkehr und Umwelt beim ADAC Württemberg, überzeugt. Der enorme Investitionsstau der vergangenen Jahre habe dazu geführt, dass viele Brücken und Straßen sanierungsbedürftig sind. Diesen gelte es nun so schnell wie möglich abzubauen, um wieder für einen geregelten Verkehrsfluss sorgen zu können.
Aufgrund der topografischen Lage und hohen Verkehrsdichte stehe Stuttgart vor großen Herausforderungen. Die Folge seien zu den Stoßzeiten teilweise lange Staus. „Liebend gerne“ hätte der Automobilclub daher im Vorfeld bessere Informationen und vor allem bessere Absprachen untereinander. Es könne nicht sein, dass sich Baustellen wie die Neckarquerung am Schwanentunnel, in der Heilbronner Straße, der B 14 im Kappelbergtunnel sowie auf der B 10 wie Perlenschnüre aneinanderreihen und „somit alle wichtigen Einfallstraßen nach Stuttgart gleichzeitig betroffen sind“, betont Bach. Denn viele Menschen seien nach wie vor auf den Individualverkehr angewiesen.
Bestätigt wird der ADAC-Experte von den aktuellen Zulassungszahlen. Mit 49,1 Millionen Fahrzeugen in Deutschland wurde ein neuer Höchststand erreicht, Tendenz weiter steigend – auch in Stuttgart. Zumal der ÖPNV, insbesondere die S-Bahn, aufgrund von vielen Baustellen und den damit verbundenen Ausfällen sowie der Unzuverlässigkeit keine vernünftige Alternative biete.
Zu einer lebenswerten Stadt gehöre zudem auch der Ausbau der Radstraßen. Dass das nicht immer reibungslos vonstatten gehe, sei zwangsläufig. Gerade in Stuttgart sei das Konfliktpotenzial zwischen den verschiedenen Interessen enorm hoch, „weil einfach kein Platz vorhanden ist“. Angesichts von 20 000 Stellplätzen in Parkhäusern in der Innenstadt, müsse man keine Kapazitäten mehr entlang der Straßen zur Verfügung stellen. Da seien laut ADAC andere Nutzungen denkbar.