Im Hintergrund bereiten Städte aus Baden-Württemberg schon Klagen gegen die Ergebnisse der Volkszählung von 2011 vor. Kommunen aus anderen Bundesländern greifen auf argumentative Texthilfe aus Stuttgart zurück.

Stuttgart - Die Ruhe ist nur vordergründig. Hinter den Kulissen wird eifrig geprüft und abgewogen. Vielleicht wäre es auch keine dumme Idee, wenn sich die Rechtsprecher in den betroffenen Kammern der vier Verwaltungsgerichte in Baden-Württemberg schon ein wenig mit statistischer Rede- und Denkweise vertraut machten. Denn bei ihnen werden die kommunalen Klagen gegen die vom Statistischen Landesamt verkündeten Ergebnisse des Zensus 2011 aufschlagen – garantiert.

 

Man erinnert sich: Im Mai sind die Ergebnisse der sogenannten Volkszählung aus dem Jahr 2011 bekanntgegeben worden. Dabei stellte sich mehrerlei heraus. Zum einen lebten demnach in Baden-Württemberg zum fraglichen Zeitpunkt erheblich weniger Menschen als bisher gerechnet – 274 000, 2,5 Prozent weniger.

Der Schock war groß bei den Kommunen

Bei den Kommunen war der Schock noch größer, bei den meisten jedenfalls. Mannheim etwa sollte den offiziellen Zahlen zufolge etwa 23 000 Köpfe oder 7,5 Prozent kleiner sein als bisher gedacht. Prozentual gesehen war der Verlust mit 8,2 Prozent in Konstanz am größten. Nur bei 23 Prozent aller Gemeinden im Südwesten wurde ein Zuwachs festgestellt.

Der Verlust von Einwohnern geht mit vielen Nachteilen einher. Mit am schwersten wiegen die finanziellen Einbußen, die sich aus niedrigeren Zuweisungen ergeben. Deshalb haben viele Städte den Zahlen den Kampf angesagt. Sie halten den Zensus für schlecht gemacht, die Werte für falsch.

Formell ist dabei jetzt die erste Stufe erreicht. Zunächst hatten 365 der 1102 Städte und Gemeinden im Land Widerspruch gegen das ihnen mitgeteilte Zensusergebnis eingelegt. Einige haben ihren Widerspruch zurückgezogen, aber immer noch sind rund 340 Verfahren anhängig.

Juristen erarbeiten Widerspruchsbegründungen

Um den Einspruch erhebenden Rathäusern Hilfestellung zu leisten, hat der Städtetag Baden-Württemberg 17 juristische und statistische Experten aus verschiedenen Städten zusammengetrommelt. Sie haben Textvorschläge für Widerspruchsbegründungen ausgearbeitet. Diese sind offenbar allgemein anerkannt, denn sie finden sich inzwischen nicht nur in den Widersprüchen von Städten aus der ganzen Republik. In manchen Bundesländern gibt es gar nicht die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Dort müssen Kommunen gleich klagen. Das gilt zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, wo einige Städte tatsächlich schon Klage eingereicht haben – mit argumentativer Texthilfe aus Stuttgart.

Wie es heißt, hat das die Statistiker in Bund und Ländern veranlasst, sich ebenfalls zusammenzutun, um ihrerseits eine fundierte Gegenrede auf die Widersprüche zu entwerfen. Im Januar rechnet der Städtetag damit, dass die Bescheide eintrudeln.

Beim Städtetag geht man nicht davon aus, dass den Widersprüchen stattgegeben wird. Darum arbeitet man darauf hin, „exemplarisch in jedem Verwaltungsgerichtsbezirk eine oder zwei Klagen“ einzubringen, wie der Städtetagsdezernent Norbert Brugger sagt. Dann hängt viel von den Richtern ab. Denkbar ist, dass ein Verwaltungsgericht die kritischen Fragen dem Bundesverfassungsgericht zur Klärung vorlegt.

Ungleichbehandlung durch unterschiedliche Methoden

Denn tatsächlich fühlen sich die widersprechenden Kommunen an mehreren Stellen ungleich behandelt, was verfassungsrechtlich bedenklich sei. So habe man zum Beispiel bei Gemeinden unterschiedlicher Größenklassen unterschiedliche Stichprobenmethoden angewandt, die entsprechend zu ganz unterschiedlich Ergebnissen führen. So verzeichneten Kommunen mit weniger als 10 000 Einwohnern viel geringere Verluste als größere.

Auch wollen die Städte nicht einsehen, wieso sie von Markung zu Markung mit unterschiedlich großen statistischen Fehlerquoten leben sollen. Es könnte nämlich sein, „dass Städte und Gemeinden je nach Betroffenheit sehr große Fehlertoleranzen hinzunehmen haben, die die Grenze einer verfassungsmäßig tolerablen Ungleichbehandlung überschreiten“. So heißt es in der vom Städtetag ausgearbeiteten „Textgrundlage“, die sich exakt so auch in der Klagebegründung der 30 000-Einwohner-Stadt Burg in Sachsen-Anhalt findet.

Kommunen stellen Qualität des Zenus in Frage

Ohnehin sei die Qualität des Zensus fraglich. Jedenfalls bleibe diese bis zur Vorlage eines Qualitätsberichtes intransparent. Den verlangt der Bund als Gesetzgeber – aber erst 2015. So lange wollen die Städte aber nicht warten.

Eines bewirke der breite kommunale Protest aber auf jeden Fall, hofft Brugger: eine sorgfältigere Vor- und Nachbereitung des nächsten Zensus von 2015 an.